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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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war er, all das deprimierte Helen, und dazwischen flackerte wieder Mitleid auf; es war ein einziges Brodeln in ihr, ein so undefinierbarer Zorn, dass sie sich ganz benommen fühlte davon. »Jim, würdest du dich bitte hinsetzen«, sagte sie noch einmal. Er sah sie fragend an, als hätte die Schärfe in ihrem Ton ihn erschreckt.
    »Ich hol mir nur schnell noch ein Bier.« Er ging wieder ins Haus.
    Helen sah zu den kleinen grünen Pflaumen an den Ästen über ihr hoch. »So viele Pflaumen«, sagte sie. »Letztes Jahr waren kaum welche dran, aber so ist das bei Obstbäumen, sie tragen nur alle zwei Jahre richtig. Unsere Eichhörnchen werden sich freuen, die dicken, pflaumengemästeten Eichhörnchen von Park Slope.«
    Die Burgess-Zwillinge auf ihrer Bank glotzten sie an. Bob nippte höflich an seinem Club Soda, die Augenbrauen abwartend hochgezogen. Susan nippte ebenfalls und wandte dann das Gesicht eine Idee von Helen weg, als stünde darauf geschrieben: Ich bin nicht hier, Helen, ich pfeife auf dein großes Haus und dein blödes Rasenviereck, das du einen Garten nennst, ich finde alles nur vulgär, dein überdimensionales Ankleidezimmer oben, deinen überdimensionalen Grill hier draußen, ich pfeif auf das alles, du Materialistin der modernen Welt, mit deinem Geld und deinem Konsum und deinen Connecticut-Wurzeln.
    Helen, die all dies aus dem abgewandten Gesicht ihrer Schwägerin zu lesen meinte, dachte das Wort Provinztusse und fühlte sich gleich darauf müde bis ins Mark. So etwas wollte sie nicht denken, so jemand wollte sie nicht sein, und sie dachte, wie schrecklich, dass ihr solch ein Wort in den Sinn kam, und kaum dachte sie das, dachte sie zu ihrem Entsetzen das Wort Nigger , und das ging ihr nicht zum ersten Mal so, Nigger , Nigger , dachte sie, als litte ihr Hirn am Tourette-Syndrom, und diese fürchterlichen Wörter strömten ungehindert daraus hervor.
    »Esst ihr sie?«, wollte Bob wissen.
    Hinter Helen ging die Tür auf, und Jim erschien mit einer Flasche Bier. Er zog sich einen Liegestuhl heran. »Die Eichhörnchen?«, fragte er. »Die grillen wir.« Er nickte in Richtung Grill.
    »Die Pflaumen. Ob ihr die Pflaumen esst.«
    »Zu sauer«, antwortete Helen und dachte: Ist doch nicht meine Sorge, ob sie sich hier wohlfühlen oder nicht. Aber das war es natürlich doch. »Du hast abgenommen«, sagte sie zu Bob.
    Er nickte. »Ich trinke nichts zurzeit. So gut wie nichts.«
    »Warum denn das?« Helen hörte den Vorwurf in ihrem Ton, sah Bob Jims Blick suchen.
    »Ganz schön braun seid ihr«, sagte Susan.
    »Die zwei sind immer braun«, sagte Bob, und Helen hasste sie alle beide.
    »Wir haben Larry in Arizona besucht«, erklärte sie. »Ich dachte, das wüsstest du.«
    Susan wandte auch jetzt wieder den Blick ab, und das schien Helen das Armseligste von allem: dass sie nicht einmal nach ihrem Neffen fragte, nur weil ihr eigener Sohn eine Enttäuschung war und es nicht mehr ausgehalten hatte bei ihr.
    »Wie geht es Larry?«, erkundigte Bob sich.
    »Gut geht’s ihm.« Helen trank einen großen Schluck von ihrem Wein, der ihr direkt in den Kopf stieg, und im nächsten Moment ertönten ein blechernes Dudeln und das Klirren von Glas, und Susan sprang auf und sagte: »O nein, o nein, es tut mir so leid.«
    Das Dudeln kam von Susans Handy, weshalb ihr offenbar vor lauter Schreck das Glas aus der Hand gefallen war, und während sie nun das Telefon aus ihrer Tasche wühlte – und es bizarrerweise gleich an Jim weitergab, der aufgestanden und zu ihr getreten war – , sagte Helen: »Ach, ist doch nicht schlimm, ich mach das schon«, und dachte dabei, dass jetzt bestimmt sämtliche Fugen des gepflasterten Gartenwegs voller Glassplitter steckten und dass der Gärtner, der um diese Jahreszeit einmal die Woche kam, zu Recht verärgert sein würde.
    »Charlie Tibbetts«, sagte Jim. »Ja, Susan steht hier neben mir. Moment, sie sagt, ich soll mit Ihnen reden.« Jim drehte einen Kreis durch den Garten, das Handy ans Ohr gedrückt, nickend, »Ja, ja, ich höre«, eine Hand durch die Luft schwenkend wie ein Dirigent vor einem Orchester. Schließlich klappte er das Handy zu, gab es Susan zurück und sagte: »Tja, Leute, das war’s. Es ist ausgestanden. Zach ist ein freier Mann. Keine Anklage mehr.«
    Stille trat ein. Jim setzte sich wieder, trank aus seiner Bierflasche, den Kopf in den Nacken gekippt.
    »Wie, keine Anklage mehr?« Helen war es, die endlich das Schweigen brach.
    »Zurückgezogen. Wenn Zach sich gut führt, kommt

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