Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
Vom Netzwerk:
sollte, war nicht gekommen. Ihre Koffer standen auf dem Gehsteig, und Helen wurde zu ihrer Bewachung abgestellt, während Jim zwischen ihr und dem Haus hin- und herrannte und mit dem Autoverleih telefonierte. Deborah-mit kam aus ihrer Tür und fragte, wo es denn hingehen solle an diesem schönen sonnigen Morgen, es müsse wunderbar sein, so oft in den Urlaub fahren zu können. Helen blieb keine Wahl, als zu sagen: »Seien Sie nicht böse, aber ich muss schnell noch jemand anrufen« und ihr Handy aus der Handtasche zu holen und einen Anruf bei ihrem Sohn vorzutäuschen, der (in Arizona) unter Garantie noch tief und fest schlief. Aber Deborah-mit wartete auf Billiam, und so musste Helen immer weiter in ihr stummes Handy sprechen, weil Deborah in einem fort in ihre Richtung lächelte. Endlich erschien Billiam, und die beiden wanderten davon, händchenhaltend, was Helen übertrieben fand.
    Derweil fiel dem in der Diele auf- und abtigernden Jim auf, dass am Schlüsselbrett neben der Haustür noch beide Autoschlüssel hingen. Bob hatte den Schlüssel nicht mitgenommen! Wie wollte er nach Maine kommen ohne den Scheißschlüssel? Diese Frage brüllte Jim Helen entgegen, als er wieder auf die Straße herauskam, und Helen sagte in beherrschtem Ton, wenn er weiter so herumbrülle, werde sie nach Manhattan ziehen. Jim wedelte mit dem Schlüssel vor ihrem Gesicht. »Wie will er hinkommen?«, zischte er.
    »Wenn du deinem Bruder einen Schlüssel zu unserem Haus geben würdest, hätten wir dieses Problem nicht.«
    Um die Ecke bog in gemessenem Tempo eine schwarze Limousine. Jim schwenkte den Arm wie ein Rückenschwimmer beim Anschlag, und wenig später saß Helen wohlbehalten auf dem Rücksitz, wo sie ihr Haar glattzupfte, und Jim rief vom Handy aus Bob an. »Nun geh schon ran, Bob … « Dann: »Wie klingst du denn? Du bist jetzt erst aufgewacht? Du solltest längst auf dem Weg nach Maine sein. Wie, du warst die ganze Nacht wach?« Jim beugte sich vor und sagte zu dem Fahrer: »Halten Sie kurz Ecke Sixth und Ninth.« Er lehnte sich wieder zurück. »Dreimal darfst du raten, was ich hier in der Hand halte. Rat einfach, Goofy. Meinen Autoschlüssel, bingo! Und hör zu – hörst du zu? Charlie Tibbetts. Der Anwalt für Zach. Montagvormittag bei ihm im Büro. Natürlich kannst du den Montag dranhängen, tu doch nicht so. Die Rechtshilfe tangiert das einen feuchten Furz. Charlie ist das Wochenende über nicht da, aber er fiel mir gestern noch ein, und wir haben schon telefoniert. Er ist der Richtige. Guter Mann. Alles, was du bis dahin zu tun hast, ist, die Sache kleinhalten, kapiert? Und jetzt bequem dich runter, unser Flieger wartet nicht.«
    Helen ließ das Fenster nach unten gleiten und hielt das Gesicht in die frische Luft.
    Jim lehnte sich zurück, griff nach ihrer Hand. »Wir werden einen fabelhaften Urlaub haben, Schatz. Genau wie diese Kitschpaare in den Prospekten. Es wird großartig.«
    Bob wartete in Trainingshose, T-Shirt und schmutzigen Sportsocken vor seinem Haus. »Achtung, Spasti«, rief Jim. Er warf den Autoschlüssel durchs offene Fenster, und Bob fing ihn mit einer Hand.
    »Viel Spaß.« Bob winkte einmal.
    Helen war beeindruckt, wie mühelos Bob den Schlüssel gefangen hatte. »Und dir viel Erfolg«, rief sie.
    Die Limousine bog um die Ecke und entschwand dem Blick, und Bob wandte das Gesicht Richtung Hauswand. Als Junge war er in den Wald gelaufen, um dem Auto, das Jim ins College brachte, nicht nachsehen zu müssen, und am liebsten hätte er es jetzt genauso gemacht. Stattdessen stand er auf dem rissigen Asphalt, neben sich die eisernen Müllcontainer, und Sonnenscherben stachen ihm in die Augen, während er mit seinen Schlüsseln herumstocherte.
    Vor Jahren, in Bobs erster Zeit in New York, hatte er eine Therapeutin namens Elaine gehabt, eine grobknochige Frau mit schlaksigen Bewegungen, etwa so alt wie er jetzt, was ihm damals natürlich uralt vorgekommen war. Eingebettet in ihre wohlwollende Aufmerksamkeit, hatte er an einem Loch in der Armlehne ihrer Ledercouch herumgebohrt und immer wieder zu dem Feigenbaum in der Ecke hinübergeschielt (der künstlich aussah, sich aber mit ans Herz gehender Zielgerichtetheit zu dem schmalen Lichtstreif des Fensters hinneigte und in sechs Jahren immerhin ein neues Blatt hervorgebracht hatte). Wenn Elaine jetzt neben ihm gestanden hätte, dann hätte sie ihn ermahnt: »In der Gegenwart bleiben, Bob.« Denn vage war sich Bob ja bewusst, was in ihm ablief, als Jims Auto um die

Weitere Kostenlose Bücher