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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Ecke verschwand, ihn zurückließ , vage wusste er es, aber – oh, arme Elaine, inzwischen an irgendeiner furchtbaren Krankheit gestorben, sie hatte sich solche Mühe mit ihm gegeben, war so lieb gewesen – es half nichts. Das Sonnenlicht gab ihm den Rest.
    Bob, der vier war, als sein Vater starb, erinnerte sich an nichts als an die Sonne auf der Kühlerhaube und an die Decke, die sie über seinen Vater gebreitet hatten, und – immer – Susans anklagende Kleinmädchenstimme: »Alles nur wegen dir, du Dummer.«
    Und jetzt stand er in Brooklyn, New York, auf dem Gehsteig, sah wieder den Autoschlüssel durch die Luft geflogen kommen, sah die Limousine mit seinem Bruder darin um die Ecke verschwinden, dachte an die Aufgabe, die vor ihm lag, und alles in ihm schrie: Lass mich nicht allein, Jimmy.
    Adriana trat aus der Tür.

2
    Susan Olson bewohnte ein schmales zweistöckiges Haus nicht weit vom Zentrum. Seit ihrer Scheidung vor sieben Jahren vermietete sie die oberste Etage an eine alte Frau namens Drinkwater, die dieser Tage eher selten aus dem Haus ging, sich nie über die Musik aus Zachs Zimmer beschwerte und immer pünktlich die Miete bezahlte. An dem Abend, bevor Zach sich der Polizei stellen sollte, stieg Susan die Treppe hinauf, klopfte bei der alten Dame und erzählte ihr, was passiert war. Mrs. Drinkwater, die auf dem Stuhl vor ihrem kleinen Schreibtisch saß, nahm es erstaunlich gelassen. »So was, so was«, sagte sie. Sie trug einen Bademantel aus rosa Kunstseide und hatte sich die Nylonstrümpfe bis zum Knie heruntergerollt; ihre grauen Haare waren nach hinten gesteckt, aber zum Großteil aus den Nadeln gerutscht. So sah sie aus, wenn sie daheimblieb, was jetzt meistens der Fall war. Ihre Arme und Beine waren dürr wie Stöcke.
    »Ich wollte es Ihnen doch lieber sagen« – Susan setzte sich aufs Bett – , »weil die Reporter Sie ab morgen vielleicht fragen werden, was für ein Mensch er ist.«
    Die alte Dame schüttelte bedächtig den Kopf. »Ein Stiller ist er.« Sie sah Susan an. Ihre Brille hatte riesige Trifokalgläser, hinter denen ihr Blick nicht recht zu orten war; er waberte herum. »Immer höflich zu mir«, fügte sie hinzu.
    »Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, was Sie antworten.«
    »Nett, dass Ihr Bruder kommt. Ist das der berühmte?«
    »Nein. Der berühmte macht Urlaub mit seiner Frau.«
    Ein langes Schweigen folgte. Mrs. Drinkwater sagte: »Zacharys Vater – weiß er Bescheid?«
    »Ich hab ihm eine E-Mail geschickt.«
    »Lebt er immer noch in … Schweden?«
    Susan nickte.
    Mrs. Drinkwater sah auf ihren kleinen Schreibtisch, dann an die Wand darüber. »Wie sich’s da wohl lebt, in Schweden?«
    »Ich hoffe nur, Sie können jetzt schlafen«, sagte Susan. »Es tut mir leid.«
    »Ich hoffe, Sie können schlafen, Kindchen. Haben Sie was, was Sie einnehmen können?«
    »Ich nehme keine Schlafmittel.«
    »Ja, dann … «
    Susan stand auf, fuhr sich über ihr kurzes Haar, sah um sich, als wäre noch etwas zu tun, und sie wüsste nicht, was.
    »Gute Nacht, meine Liebe«, sagte Mrs. Drinkwater.
    Susan ging einen Stock tiefer und klopfte leise an Zachs Tür. Er lag auf dem Bett, riesige Kopfhörer über den Ohren. Sie tippte an ihr eigenes Ohr, damit er sie abnahm. Sein Laptop lag neben ihm auf der Bettdecke. »Hast du Angst?«, fragte sie.
    Er nickte.
    Es war fast völlig dunkel im Zimmer. Nur über einem Bücherbrett, auf dem sich Zeitschriften stapelten, brannte ein Lämpchen. Darunter lagen ein paar verstreute Bücher. Die Jalousien waren heruntergelassen, und an den Wänden, die seit mehreren Jahren schwarz gestrichen waren – Susan war eines Tages von der Arbeit heimgekommen und hatte sie so vorgefunden – , hing kein einziges Poster oder Foto.
    »Hat sich dein Vater gerührt?«
    »Nein.« Seine Stimme war belegt und tief.
    »Ich hatte ihn gebeten, dir zu mailen.«
    »Wieso machst du so was?«
    »Er ist dein Vater.«
    »Er soll mir nicht schreiben, weil du ihn darum bittest.«
    Nach ein paar langen Sekunden sagte sie: »Schau, dass du ein bisschen schläfst.«
    Am nächsten Tag machte sie Zach mittags Tomatensuppe aus der Dose und einen überbackenen Käsetoast. Er beugte den Kopf tief über die Suppentasse und aß den halben Toast mit seinen dünnen Fingern, dann schob er den Teller weg. Seine dunklen Augen schauten zu ihr hoch, und einen Moment lang meinte sie das kleine Kind von früher zu sehen, als das volle Ausmaß seiner sozialen Unbeholfenheit noch nicht offenbar war, als seine

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