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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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wohl auch nie zum Essen gekommen, solange ich da war. Einfach aus Scham. Als du ihn gestern gefragt hast, ist er ja auch nicht damit rausgerückt.«
    »Wann hat sie dir das erzählt? Mir hat sie nichts davon gesagt.«
    »Heute Morgen in der Küche. Du hast telefoniert, und Zach hat seine Sachen nach oben gebracht.«
    »Ich hab mein Möglichstes getan«, sagte Jim schließlich. »Alles, was mit dieser Familie zusammenhängt, deprimiert mich unendlich. Ich will nur noch zurück nach New York, sonst gar nichts.«
    »Darfst du ja auch. Was hast du noch über Pam gesagt? Manche Leute kriegen immer das, was sie wollen.«
    »Das war Unsinn. Vergiss es.«
    »Das kann ich nicht. Jimmy, hat sie tatsächlich versucht, dich anzumachen?«
    Jim stieß die Luft durch die geschlossenen Zähne aus. »Ach, Himmel, wer weiß das schon? Pam ist ganz schön verrückt.«
    »Wer das weiß? Du weißt es. Du hast es schließlich behauptet.«
    »Ich sag doch – es war Unsinn.« Und nach einer Pause: »Eine Übertreibung, okay?«
    Von da an schwiegen sie. Sie fuhren unter einem grauen Novemberhimmel, vorbei an kahlen Bäumen, die nackt und dürr dastanden. Selbst die Kiefern wirkten irgendwie dürr, zaghaft, erschöpft. Sie überholten Lastwagen, sie überholten verbeulte Autos mit rauchenden Menschen darin. Sie fuhren zwischen bräunlich-grauen Feldern entlang. Sie fuhren durch Unterführungen, die die Namen der Straßen anzeigten, unter denen sie hindurchführten: Anglewood Road, Three Rod Road, Saco Pass. Über die Brücke fuhren sie nach New Hampshire hinein, dann nach Massachusetts. Jim sprach erst wieder, als der Verkehr vor Worcester zum Stillstand kam: »Was soll der Scheiß? Mann, was ist da los?«
    »Das.« Bob nickte in Richtung des Krankenwagens, der aus der anderen Richtung kam. Danach kam noch ein Krankenwagen, dann zwei Polizeiwagen, und Jim sagte nichts mehr. Keiner der Brüder wandte den Kopf, als sie schließlich an der Unfallstelle vorbeirollten. Es war der Pakt, der sie einte, immer schon. Ihre Frauen hatten es schweigend gelernt, Jims Kinder auch. Eine Sache des Respekts, hatte Bob Elaine in ihrer Praxis erklärt, und sie hatte wissend genickt.
    Als sie Worcester schon fast hinter sich gelassen hatten, sagte Jim: »Ich war ein Arschloch gestern Abend.«
    »Das kannst du laut sagen.« Im Seitenspiegel sah Bob die großen Ziegelbrennereien kleiner werden.
    »Es passiert irgendetwas mit meinem Kopf, wenn ich da rauffahre. Deinem Kopf macht es nicht so viel aus, weil du Moms Liebling warst. Ich beschwere mich nicht, es war einfach so.«
    Bob dachte darüber nach. »Du kannst nicht behaupten, dass sie dich nicht gern gemocht hätte.«
    »Doch, sie hat mich gern gemocht.«
    »Sie hat dich geliebt.«
    »Ja, sie hat mich geliebt.«
    »Jimmy, du warst eine Art Held. Du warst in allem der Beste. Hast ihr nie den geringsten Kummer gemacht. Und wie sie dich geliebt hat. Susie – die hat Mom nicht so gemocht. Geliebt, ja, aber nicht gemocht.«
    »Ich weiß.« Jim seufzte tief. »Arme Susie. Ich mochte sie auch nicht besonders.« Er sah in den Seitenspiegel, scherte aus, um ein Auto zu überholen. »Ich mag sie immer noch nicht besonders.«
    Bob sah das kalte Haus seiner Schwester vor sich, die ängstliche Hündin, Susans unhübsches Gesicht. »Oi«, sagte er.
    »Ich weiß, du brauchst eine Zigarette«, sagte Jim. »Wäre nett, wenn du warten könntest, bis wir Essenspause machen. Helen riecht es noch nach Monaten. Aber wenn du absolut nicht warten kannst, mach das Fenster auf.«
    »Ich kann warten.« Diese unverhoffte Freundlichkeit von Jim löste Bob die Zunge. »Als ich das erste Mal hochgefahren bin, hat Susan sich aufgeregt, dass ich ›oi‹ sage. Du bist doch kein Jude, hat sie gesagt. Ich hatte nicht die Energie, ihr zu erklären, dass die Juden sich mit Kummer auskennen. Die Juden kennen sich mit allem aus. Und sie haben großartige Wörter für alles. Tsuris . Klingt doch viel besser als Schwierigkeiten. Wir haben tsuris , Jimmy. Ich jedenfalls.«
    Jim sagte: »Susie war mal richtig hübsch, weißt du noch? Gott, als Frau bist du in Maine auf verlorenem Posten. Helen sagt, es ist eine Frage der Kosmetik. Hautcremes und so. Sie sagt, in Maine lehnen die Frauen Hautcremes als extravagant ab, und mit vierzig sehen sie dann aus wie Männer. Scheint mir eine ganz brauchbare Theorie.«
    »Mom hat Susan gar nicht erst erlaubt, sich hübsch zu fühlen. Ich meine, ich hab ja keine Kinder, aber du. Wie kann es sein, dass eine Mutter

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