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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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womöglich nicht verlassen, wenn Zach sich anders entwickelt hätte. Und so trug sie auch daran Schuld. Dieses doppelte Scheitern machte sie einsam. Außer ihr gab es nur Zach: Mutter und Sohn, aneinandergekettet durch ein uneingestandenes Band der Verwirrung und gegenseitigen Abbitte. Manchmal schrie sie ihn an (öfter, als sie dachte) und war danach jedes Mal krank vor Reue und Kummer.
    »Gut«, antwortete er auf ihre Frage, wie es im Hotel mit seinen Onkels gewesen war. Gefragt, ob sie nett zu ihm waren: »Oh, ja, total.« Und was hatten sie gemacht? »Geredet und ferngesehen.« Und worüber hatten sie geredet? »Alles Mögliche«, antwortete er mit freundlichem Schulterzucken. Aber nachdem ihre Brüder abgefahren waren, ging es mit Zachs Stimmung bergab. »Rufen wir deine Onkels an, ob sie heil in New York angekommen sind?«, schlug sie vor, und Zach blieb stumm.
    Sie rief Jim an, der sich müde anhörte. Er fragte nicht, ob er Zach sprechen könne.
    Sie rief Bob an, der sich müde anhörte, und Bob wollte mit Zach sprechen. Susan ging ins Wohnzimmer, um Zach ungestört telefonieren zu lassen. »Gut«, hörte sie ihren Sohn sagen. »Ja, stimmt.« Langes Schweigen. »Weiß ich nicht. Okay. Du auch.«
    Sie konnte nicht anders: »Was hat er gesagt?«
    »Ich soll nicht nur rumhängen.«
    »Na, da hat er recht.«
    Über Jims Vermutung, Zach könnte den Schweinekopf geworfen haben, um seinem Vater zu imponieren, schwieg sie vorerst lieber. Zach war momentan so verletzlich, dass sie ihm nicht böse sein konnte, und obwohl sie Steve böse war (wie eigentlich fast immer), sagte sie auch dazu lieber nichts. Sie sagte zu Zach, sie wollte sich umhören, ob er irgendwo ehrenamtlich arbeiten könnte; Onkel Bob habe recht mit dem Herumhängen.
    Sie probierte es: die Bücherei. (Nein, meinte Charlie Tibbetts, da trieben sich viel zu viele Somali herum.) Essen für alte Leute ausfahren. (Sie hatten bereits genug Freiwillige.) Mahlzeiten für Bedürftige ausgeben. (Nein, auch da tauchten regelmäßig Somali auf.) Und so bekam Susan, wenn sie von der Arbeit heimkam und wissen wollte, was er den Tag über gemacht hatte, Abend für Abend dieselbe Antwort: nichts. Sie schlug ihm vor, einen Kochkurs zu belegen, so dass er ihnen abends etwas kochen konnte. »Im Ernst?« Die Bestürzung in seinem Blick ließ sie sagen: »Um Himmels willen, nein, ich hab Spaß gemacht.«
    »Onkel Jim hat gesagt, ich soll Kurse belegen. Aber doch keine Kochkurse.«
    »Kurse belegen sollst du?« Sie besorgte einen Katalog der Volkshochschule. »Du hast doch Spaß an Computern, sieh mal hier.« Charlie Tibbetts gab zu bedenken, dass höchstwahrscheinlich Somali an den Kursen teilnahmen, sie sollten ein Semester warten, dann sei der Fall erledigt und Zach könne wieder normal am Leben teilnehmen. Das Leben wurde für sie zum Wartesaal.
    An Thanksgiving briet Susan einen Truthahn und lud Mrs. Drinkwater zum Essen ein. Mrs. Drinkwater hatte zwei Töchter, die in Kalifornien lebten; Susan hatte sie nie gesehen. Eine Woche vor Weihnachten kaufte Susan an der Tankstelle einen kleinen Christbaum. Zach half ihr, ihn im Wohnzimmer aufzustellen, und Mrs. Drinkwater kam und brachte den Engel für die Baumspitze. Seit sie hier wohnte, erlaubte Susan es der alten Dame Jahr für Jahr, ihn aufzuhängen, dabei hatte sie insgeheim wenig übrig für den Engel, der Mrs. Drinkwaters Mutter gehört hatte und dem zwei gestickte blaue Tränen über das zerschlissene, dick wattierte Gesicht liefen. »Das ist nett von Ihnen, meine Liebe«, sagte Mrs. Drinkwater, »dass er an Ihren Baum darf. Wir haben ihn nie benutzt, weil mein Mann ihn nicht leiden mochte.« In einer Männerstrickjacke über ihrem rosa Morgenmantel, ihre Frotteepantoffeln an den Füßen, die Strümpfe bis über die Knie heruntergerollt, saß sie im Ohrensessel. »Dieses Weihnachten würde ich gerne mal die Mitternachtsmesse in St. Peter’s besuchen«, fügte Mrs. Drinkwater hinzu. »Aber ich hab Angst, so spätnachts durch die Straßen zu laufen, eine alte Frau ganz allein.«
    Susan hatte nur mit halbem Ohr zugehört und musste sich die Worte erst wieder vergegenwärtigen. »In die Mitternachtsmesse wollen Sie? In der Kathedrale?«
    »Genau.«
    »Da bin ich noch nie gewesen«, sagte Susan schließlich.
    »Noch nie? So was.«
    »Ich bin nicht katholisch«, sagte Susan. »Wir sind immer in die Congregational Church auf der anderen Flussseite gegangen. Da sind wir auch getraut worden. Aber ich war schon ewig nicht

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