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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Stamps blau. Am Ende der Geschichte steht Roger im Keller vor einem Spiegel. Hinter ihm auf einem Tisch liegen ungefähr neunzig Rabattheftchen, gefüllt mit einzeln angeleckten Marken. Die Lippen unseres Helden sind rosa. Er streckt seine Zunge raus, die noch stärker gefärbt ist. Selbst seine Zähne werden schon rosa. Fröhlich ruft seine Mutter die Treppe herunter, sie habe gerade mit der Prämienabteilung des Happy Stamps National Redemption Center in Terre Haute telefoniert, und die Dame am Telefon habe gesagt, für nur 11 600 000 vollgeklebte Rabattmarkenheftchen könnten sie wahrscheinlich ein hübsches Tudorhaus in Weston bekommen.
    »Das ist schön, Mom«, antwortet Roger. Er betrachtet sich noch etwas länger im Spiegel, die rosa Lippen und den trüben Blick, dann dreht er sich langsam zum Tisch um. Hinter ihm sind Milliarden von Happy Stamps in großen Kisten gestapelt. Langsam schlägt unser Held ein neues Heftchen auf und beginnt, die Marken anzulecken und einzukleben. Nur noch 11 599 910 Heftchen, denkt er am Ende der Geschichte, dann bekommt Mom ihr Tudorhaus.
    Ein paar Einzelheiten in der Geschichte stimmten nicht (der größte Lapsus war wohl, dass es der Held nicht einfach mit einem anderen Klebstoff versucht), aber trotzdem war sie hübsch und einigermaßen originell. Ich wusste, dass ich etwas ziemlich Gutes geschrieben hatte. Nachdem ich in meinem zerlesenen Writer’s Digest gründlich die Märkte studiert hatte, schickte ich »Happy Stamps« an Alfred Hitchcock’s Mystery Magazine . Drei Wochen später kam die Geschichte mit einem beigelegten Formschreiben zurück. Der Zettel trug Alfred Hitchcocks unverwechselbares Profil in Rot, und man wünschte mir viel Glück mit meinem Werk. Am unteren Rand fand ich eine hingekritzelte, nicht unterschriebene Notiz, die einzige persönliche Antwort, die ich während der acht Jahre regelmäßiger Einsendungen von AHMM bekam. »Manuskripte nicht heften«, besagte sie. »Lose Blätter plus eine Büroklammer sind gleich die richtige Lösung, Texte einzureichen.« Ein ziemlich unterkühlter Ratschlag, dachte ich, aber auf seine Weise nützlich. Seitdem habe ich kein Manuskript mehr geheftet.

16
     
    Mein Zimmer in unserem Haus in Durham war unter dem Dach. Nachts lag ich im Bett unter der Schräge (wenn ich mich ohne nachzudenken aufsetzte, schlug ich mir ordentlich den Kopf an) und las im Licht einer Schwanenhalslampe, die einen lustigen Boa-Constrictor-Schatten an die Decke warf. Manchmal war es ganz still im Haus; nur das Bullern des Ofens und das Trippeln der Ratten auf dem Dachboden waren zu hören. Manchmal jedoch schrie meine Großmutter gegen Mitternacht eine geschlagene Stunde, jemand solle nach Dick sehen; sie machte sich Sorgen, dass er nicht gefüttert worden war. Dick, ein Pferd, das sie zu ihrer Zeit als Lehrerin besessen hatte, war seit mindestens vierzig Jahren tot. Unter der anderen Schräge standen mein Schreibtisch, meine alte Royal-Schreibmaschine und aufgereiht vor den Fußleisten ungefähr hundert Taschenbücher, überwiegend Science-Fiction. Auf meinem Schreibtisch war eine Bibel, die ich für meine auswendig aufgesagten Verse in der Jugendgruppe der Methodisten erhalten hatte, und ein Webcor-Plattenspieler mit automatischem Wechsler und einem mit grünem Samt belegten Plattenteller. Darauf spielte ich meine Schallplatten, hauptsächlich Singles von Elvis, Chuck Berry, Freddy Cannon und Fats Domino. Fats gefiel mir; er wusste, wie man rockt, und man merkte, dass es ihm Spaß machte. Als ich die Absage von AHMM bekam, schlug ich über dem Webcor einen Nagel in die Wand, schrieb »Happy Stamps« darauf und spießte sie auf den Nagel. Dann setzte ich mich auf mein Bett und hörte mir »I’m Ready« von Fats an. Eigentlich fühlte ich mich ganz gut. Wenn man noch zu jung zum Rasieren ist, ist es gut, auf eine Enttäuschung mit Optimismus zu reagieren.
    Als ich vierzehn war (und mich zweimal pro Woche rasierte, ob es nötig war oder nicht), trug der Nagel in meiner Wand das Gewicht der gepfählten Absagen nicht länger. Ich ersetzte ihn durch einen Haken und schrieb weiter. Als ich sechzehn war, bekam ich mittlerweile Absagen mit handschriftlichen Bemerkungen, die etwas aufmunternder waren als der Rat, nicht länger Heftklammern, sondern Büroklammern zu verwenden. Der erste dieser Hoffnungsträger kam von Algis Budrys, damals Herausgeber von Fantasy and Science Fiction, der eine meiner Geschichten namens »The Night of the Tiger« gelesen

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