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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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»Heureka« rufend durch die ganze Wäscherei. Ich hatte schon viele ähnlich gute Ideen gehabt, sogar ein paar deutlich bessere. Aber ich meinte, eine gute Grundlage für eine Erzählung zu haben, die ich an den Cavalier verkaufen konnte … und dann lauerte in meinem Hinterkopf natürlich immer die Möglichkeit, im Playboy gedruckt zu werden. Der zahlte bis zu zweitausend Dollar für eine Kurzgeschichte. Für zweitausend Kröten könnte ich mir ein neues Getriebe für den Buick kaufen und hätte noch eine Menge für Lebensmittel übrig. Eine Zeit lang behielt ich die Geschichte auf der Warmhalteplatte, ließ sie auf der Schwelle vom Unterbewusstsein zum Bewusstsein vor sich hin köcheln. Ich hatte meine Stelle als Lehrer längst angetreten, als ich mich eines Abends hinsetzte und es ausprobierte. Mein erster Entwurf waren drei einzeilig beschriebene Seiten, die ich angewidert zerknüllte und fortwarf.
    Ich hatte vier Probleme mit dem, was ich geschrieben hatte. Zum einen ging mir die Geschichte nicht unter die Haut – aber das war am unwichtigsten. Zweitens, und das war schon etwas wichtiger, war mir die Hauptfigur nicht sonderlich sympathisch. Carrie White wirkte schwerfällig und passiv, das klassische Opfer. Die anderen Mädchen bewarfen sie mit Tampons und Binden und riefen im Chor: »Stopf es zu! Stopf es zu!« Aber es war mir egal. Drittens fühlte ich mich nicht sonderlich vertraut mit dem Lebensumfeld von Mädchen und den ausschließlich weiblichen Nebenfiguren – und das war schon ziemlich wichtig. Ich war auf dem Planeten der Frauen gelandet, und ein Jahre zurückliegender Ausflug in die Umkleidekabine der Mädchen der Brunswick High School war dabei keine große Orientierungshilfe. Am besten kann ich schreiben, wenn mir meine Geschichte vertraut ist, so intim und so sexy wie Haut auf Haut. Bei Carrie fühlte es sich an, als trüge ich einen Neoprenanzug, den ich nicht abstreifen konnte. Mein viertes und letztes Problem war die Einsicht, dass die Geschichte nur dann funktionierte, wenn sie ziemlich lang wurde, wahrscheinlich noch länger als »Manchmal kommen sie wieder«, und die war schon die absolut äußerste Grenze an Worten, die Männerzeitschriften zu akzeptieren bereit waren. Schließlich musste man viel Platz für diese Bilder von Cheerleadern freihalten, die scheinbar vergessen hatten, Unterhosen anzuziehen – denn ihretwegen kauften Männer die Zeitschriften überhaupt. Ich sah keinen Grund, zwei Wochen, vielleicht sogar einen Monat mit einer Novelle zu verschwenden, die mir nicht gefiel und die ich wahrscheinlich nicht würde verkaufen können. Deshalb warf ich sie in den Müll.
    Als ich am nächsten Abend von der Schule nach Hause kam, hielt Tabby die Blätter in der Hand. Sie hatte sie beim Ausleeren des Papierkorbs entdeckt, die Zigarettenasche von den zerknüllten Papierknäueln gestrichen, die Seiten geglättet, sich hingesetzt und sie gelesen. Ich solle damit weitermachen, sagte sie zu mir. Sie wolle erfahren, wie die Geschichte ausginge. Ich antwortete, dass ich einen Scheißdreck über Highschool-Mädchen wisse. Dabei würde sie mir helfen, versicherte sie mir. Sie senkte das Kinn und lächelte auf ihre ganz besonders niedliche Art. »Du hast hier was Gutes«, sagte sie. »Das hat wirklich was, wenn du mich fragst.«

29
     
    Carrie White wurde mir nie sympathisch, und Sue Snells Gründe, ihren Freund mit Carrie zum Abschlussball zu schicken, leuchteten mir auch nie richtig ein, aber ich hatte wirklich etwas. Etwas wie eine Karriere. Irgendwie hatte Tabby es gespürt, und als ich ungefähr fünfzig weitere Seiten einzeilig beschrieben hatte, wusste ich es auch. Ich war mir beispielsweise sicher, dass niemand, der zu Carrie Whites Abschlussball ging, ihn jemals vergessen würde. Das heißt, die wenigen, die ihn überlebten.
    Vor Carrie hatte ich schon drei andere Romane geschrieben – Amok (Originaltitel: Rage ) , Todesmarsch (Originaltitel: The Long Walk ) und Menschenjagd (Originaltitel: The Running Man ) - , die später veröffentlicht wurden. Amok ist vielleicht am Beunruhigendsten. Todesmarsch ist wahrscheinlich der Beste von ihnen. Doch brachten sie mir alle nicht das bei, was ich von Carrie White lernte. Am wichtigsten ist die Erkenntnis, dass der Autor möglicherweise anfangs eine ebenso falsche Vorstellung von einer oder mehreren Figuren hat wie der Leser. Knapp dahinter auf Platz zwei liegt die Einsicht, dass es keine gute Idee ist, ein Werk aufzugeben, nur weil es sich

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