Das Leben und das Schreiben
Fernsehen und Überarbeitungen, die nicht aufgeschoben werden können. Hauptsächlich der Morgen ist bei mir dem Schreiben vorbehalten.
Sobald ich ein Projekt in Arbeit habe, höre ich erst dann auf und lasse nach, wenn es gar nicht anders geht. Denn wenn ich nicht jeden Tag schreibe, fangen die Figuren an, in meinem Kopf zu verblassen – sie wirken nur noch wie Figuren und nicht mehr wie echte Menschen. Dann beginnen die Klingen der Erzählung zu rosten, und ich verliere die Kontrolle über Handlungsfaden und Erzähltempo. Am schlimmsten ist aber, dass die Spannung nachlässt, etwas Neues zu erschaffen. Plötzlich fühlt sich die Arbeit nach Mühe an, und das ist für die meisten Autoren der Todeskuss. Schreiben ist dann am besten – und das immer, stets und grundsätzlich -, wenn es für den Verfasser eine Art inspiriertes Spiel ist. Wenn ich muss, kann ich auch in kalter Überlegung arbeiten, aber es läuft am besten, wenn die Story frisch und fast zu heiß zum Anfassen ist.
Früher habe ich Journalisten immer erzählt, dass ich jeden Tag außer Weihnachten, dem vierten Juli und meinem Geburtstag schreibe. Das war gelogen. Ich habe gelogen, weil man irgendetwas sagen muss, wenn man die Einwilligung zu einem Interview gibt, und es kommt besser, wenn es sich halbwegs gewitzt anhört. Außerdem wollte ich nicht wie ein arbeitswütiger Streber klingen (arbeitswütig allein reichte mir wohl). Wahr ist jedoch, dass ich, wenn ich dran bin, jeden Tag schreibe, arbeitswütiger Streber hin oder her. Und zwar auch an Weihnachten, dem vierten Juli und an meinem Geburtstag (in meinem Alter versucht man sowieso, den verfluchten Geburtstag zu ignorieren). Und wenn ich nicht arbeite, mache ich wirklich gar nichts. In Zeiten solcher kompletten Pausen weiß ich gewöhnlich nicht viel mit mir anzufangen und kann nicht richtig schlafen. Für mich bedeutet nicht zu schreiben Schwerstarbeit. Das Schreiben ist für mich Zeitvertreib auf einer Spielwiese, und auch die schlimmsten drei Stunden in meinem Arbeitszimmer waren immer noch ziemlich gut.
Früher war ich schneller als heute; eins meiner Bücher ( Menschenjagd , Originaltitel: The Running Man ) habe ich in einer einzigen Woche verfasst, eine Leistung, die John Creasey vielleicht zu schätzen gewusst hätte (obwohl ich gelesen habe, dass er viele Krimis innerhalb von zwei Tagen vollendete). Ich glaube, dass ich langsamer geworden bin, weil ich nicht mehr rauche – Nikotin steigert die Leistung der Synapsen. Das Problem besteht natürlich darin, dass es zwar fürs Schreiben hilfreich ist, aber gleichzeitig den Raucher umbringt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die erste Fassung eines Buches, auch eines langen, nicht länger als drei Monate dauern sollte, so lange wie eine Jahreszeit. Dauert es länger, fühlt sich die Geschichte (bei mir jedenfalls) eigenartig fremd an, wie eine Reportage aus dem rumänischen Ministerium für öffentliche Angelegenheiten oder eine Radiosendung auf Oberband-Kurzwelle bei starker Aktivität der Sonnenflecken.
Ich nehme mir vor, zehn Seiten pro Tag zu schreiben, das sind um die 2000 Wörter. Über einen Zeitraum von drei Monaten ergibt das 180 000 Wörter, eine ordentliche Länge für ein Buch: Wenn es gut gemacht ist und nicht langweilig wird, kann sich der Leser darin verlieren. An manchen Tagen gehen mir die zehn Seiten leicht von der Hand; ich stehe auf, los geht’s, und um halb zwölf erledige ich schon andere Sachen, munter wie eine Ratte in der Leberwurst. Doch je älter ich werde, desto öfter nehme ich das Mittagessen am Schreibtisch ein und bin erst gegen halb zwei fertig, und manchmal, wenn sich die Wörter gar nicht finden wollen, mühe ich mich noch am späten Nachmittag zur Teezeit ab. Für mich ist beides okay, nur unter besonders widrigen Umständen gestatte ich mir, vor den zweitausend Wörtern aufzuhören.
Für das regelmäßige Arbeiten (in trollopschem Ausmaß?) ist eine ruhige Atmosphäre am wichtigsten. Ich glaube, dass es selbst für den von Natur aus produktiven Schriftsteller schwierig ist, in einer Umgebung zu arbeiten, in der Ablenkung und Aufregung an der Tagesordnung sind und nicht die Ausnahme. Wenn ich nach dem »Geheimnis meines Erfolgs« gefragt werde (eine absurde Vorstellung, aber nicht auszurotten), nenne ich meistens zwei: Ich bin körperlich gesund (wenigstens war ich das, bis zum Sommer 1999, als mich ein Minivan am Straßenrand überfuhr) und immer noch verheiratet. Die Antwort ist gut, weil die Frage
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