Das Leben und das Schreiben
wieder heraus, wenn die tausend Wörter auf (virtuellem) Papier – soll Sie an das Träumen gewöhnen. Er soll Sie in Traumstimmung versetzen, so wie Sie sich auf den Schlaf einstimmen, indem Sie jeden Abend ungefähr zur gleichen Zeit und mit den gleichen Ritualen ins Bett gehen. Beim Schreiben wie beim Schlafen lernen wir, uns körperlich still zu verhalten, während wir unseren Verstand ermutigen, sich vom langweiligen Vernunftdenken des Alltags zu lösen. Und wie sich Kopf und Körper an eine bestimmte Menge Schlaf pro Nacht gewöhnen (sechs, sieben, vielleicht sogar die empfohlenen acht Stunden), so können Sie auch trainieren, Ihren wachen Kopf in einen kreativen Schlaf zu versetzen und die vor Ihrem inneren Auge lebhaft ablaufende Tagträume zu ersinnen, aus denen erfolgreiche Romane werden.
Aber Sie brauchen ein Zimmer, Sie brauchen eine Tür, und Sie müssen gewillt sein, diese Tür zu schließen. Sie müssen ebenfalls ein konkretes Ziel haben. Je länger Sie sich an diese Grundregeln halten, desto einfacher wird der Schreibprozess für Sie werden. Warten Sie nicht auf die Muse! Wie ich schon sagte, ist er ein starrköpfiger Typ, der sich von dem ganzen kreativen Getue kaum bezirzen lässt. Unser Job hat nichts mit Ouija-Brettern oder Geistern zu tun, sondern ist genauso eine Arbeit wie Rohre verlegen oder Fernlastwagen fahren. Sie müssen einfach nur sicherstellen, dass die Muse weiß, wo Sie jeden Tag zwischen neun und zwölf oder zwischen sieben und drei zu finden sind. Wenn er Bescheid weiß, kommt er mit Sicherheit früher oder später vorbei, kaut auf seiner Zigarre und wirkt seine Magie.
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Also gut: Da sitzen Sie nun in Ihrem Zimmer mit heruntergezogenem Rollo, geschlossener Tür und ausgestöpseltem Telefon. Sie haben Ihren Fernseher in die Luft gejagt und sich tausend Wörter pro Tag vorgenommen, komme, was da wolle. Jetzt kommt die große Frage: Was sollen Sie schreiben? Und die ebenso große Antwort: Alles, was Sie wollen. Einfach alles … sofern es glaubwürdig ist .
Früher hieß es in Schreibkursen immer: »Schreib über das, was du kennst«. Hört sich gut an. Aber was ist, wenn Sie über Raumschiffe bei der Erkundung fremder Planeten oder über einen Mann schreiben wollen, der seine Frau umbringt und dann versucht, ihre Leiche mithilfe eines Häckslers verschwinden zu lassen? Wie soll der Autor das oder tausend andere fantastische Einfälle bewerkstelligen, wenn er sich an den Leitsatz hält »Schreib über das, was du kennst«?
Meiner Meinung nach sollten Sie »Schreib über das, was du kennst« zunächst einmal so großzügig und umfassend wie möglich auslegen. Wenn Sie Klempner sind, kennen Sie sich mit Rohrleitungen aus, aber darauf beschränkt sich Ihr Wissen ja bei Weitem nicht. Mit dem Herzen weiß man auch so manches, auch die Fantasie kennt einiges. Gott sei Dank. Wenn es das Herz und die Fantasie nicht gäbe, wäre die Welt der Geschichten ein ganz schön trostloser Ort. Vielleicht würde sie gar nicht existieren.
Man kann wohl davon ausgehen, dass Sie anfangs die Art von Literatur schreiben werden, die Sie auch gern lesen – meine frühe Liebe zu EC-Horrorcomics habe ich wohl bereits schon so oft erwähnt, dass die Geschichte inzwischen nicht angestaubt ist. Aber ich liebte sie wirklich , genau wie Horrorfilme à la I MARRIED A MONSTER FROM OUTER SPACE, und das Ergebnis waren Kleinode wie »I Was a Teenage Graverobber«. Selbst heute tue ich nichts anderes, als etwas anspruchsvollere Versionen dieses Prototyps zu verfassen. In mir steckt die Liebe zur Nacht und zum quietschenden Sarg, ist halt so. Wenn Ihnen das nicht gefällt, kann ich nur mit den Schultern zucken. Mehr habe ich nicht.
Sollten Sie zufällig ein Science-Fiction-Fan sein, ist es nur verständlich, dass Sie auch Science-Fiction schreiben wollen (und je mehr SF Sie gelesen haben, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Sie einfach nur die ausgelutschten Konventionen des Genres wiederholen, zum Beispiel die Weltraumoper oder die dystopische Satire). Sind Sie ein Krimifan, wollen Sie bestimmt Krimis verfassen, und wenn Ihnen Liebesgeschichten gefallen, ist es nur natürlich, wenn Sie den Wunsch hegen, selbst welche zu schreiben. All das zu schreiben, ist absolut in Ordnung. Ganz und gar nicht in Ordnung wäre, wenn Sie das, was Sie kennen und mögen (oder lieben, so wie ich diese alten EC-Comics und Horrorfilme in Schwarz-Weiß), fallen ließen, um sich Themen zuzuwenden, mit denen Sie meinen, Freunde,
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