Das Leben und das Schreiben
die vom idealen Leser beanstandeten Passagen der Vorgeschichte selbst auch unklar, dann müssen Sie sehr viel gründlicher über die Geschehnisse der Vergangenheit nachdenken, die in der Gegenwart Licht auf das Verhalten der Figur werfen.
Des Weiteren sollten Sie genau darauf achten, welche Elemente der Vorgeschichte Ihren idealen Leser langweilen. Die Hauptfigur in Sara beispielsweise, der etwa vierzigjährige Schriftsteller Mike Noonan, hat bei Einsetzen der Handlung gerade seine Frau wegen einer Gehirnblutung verloren. Das Buch beginnt an ihrem Todestag, enthält aber höllisch viel Vorgeschichte, viel mehr als ich üblicherweise in meinen Büchern habe. Dazu gehören Mikes erster Job (als Zeitungsreporter), der Verkauf seines ersten Romans, Mikes Beziehungen zur weitläufigen Verwandtschaft seiner verstorbenen Frau, seine bisherigen Veröffentlichungen und insbesondere die Sache mit dem Sommerhaus im Westen von Maine: warum Mike und Johanna es kauften und was dort vor ihrer Zeit geschah. Tabitha, meine I. L., las über all das mit sichtlichem Vergnügen, aber es gab auch zwei oder drei Seiten über Mikes Arbeit im Stadtrat im Jahr nach dem Tod seiner Frau, ein Jahr, in dem seine Trauer von einer unerwarteten, schweren Schreibblockade verstärkt wird. Tabby gefiel die Sache mit der Arbeit als Stadtrat nicht.
»Wen interessiert das?«, fragte sie mich. »Ich will mehr über seine schlimmen Träume hören und nicht, dass er sich als Stadtrat aufstellen lässt, um die obdachlosen Alkoholiker von der Straße zu holen.«
»Ja, aber er hat eine Schreibblockade «, erwiderte ich. (Wenn ein Autor für etwas kritisiert wird, das ihm gefällt – für einen seiner Lieblinge -, sind die ersten beiden Worte, die ihm über die Lippen kommen, fast immer: Ja, aber .) »Diese Blockade dauert ein ganzes Jahr, vielleicht länger. In der Zeit muss er doch irgendwas tun, oder nicht?«
»Schätze schon«, sagte Tabby, »aber damit musst du mich ja nicht langweilen, stimmt’s?«
Autsch, das saß. Spiel, Satz und Sieg. Wie fast alle guten idealen Leser kann Tabby unerbittlich sein, wenn sie recht hat.
Ich kürzte den Abschnitt über Mikes gemeinnützige Arbeit und Stadtratfunktionen von zwei Seiten auf zwei Absätze. Es stellte sich heraus, dass Tabby recht hatte. Das merkte ich, sobald ich es schwarz auf weiß vor mir sah. Ungefähr drei Millionen Menschen haben Sara gelesen, ich habe mindestens viertausend Briefe zu diesem Buch bekommen, aber bisher stand in keinem einzigen: »He, du Pfeife, was hat Mike eigentlich in dem Jahr für den Stadtrat gemacht, als er nicht schreiben konnte?«
Das Wichtigste, was Sie sich über die Vorgeschichte merken sollten, ist: a) jeder hat eine Vergangenheit, und b) größtenteils ist sie uninteressant. Halten Sie sich an die interessanten Abschnitte, und lassen Sie sich vom Rest nicht hinreißen. Lange Lebensbeichten wird man am besten in der Kneipe los, aber auch da nur eine Stunde vor Schluss und wenn man den anderen einen ausgibt.
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Wir müssen ein wenig über Recherche sprechen, eine besondere Form von Hintergrundinformation. Wenn Sie recherchieren müssen, weil Teile Ihrer Geschichte von Dingen handeln, über die Sie nicht viel oder gar nichts wissen, dann vergessen Sie bitte nicht das Wort »Hintergrund«. Dahin gehört die Recherche, so weit in den Hintergrund und in die Vorgeschichte wie möglich. Sie sind vielleicht berauscht von Ihrem Wissen über fleischfressende Bakterien, das Abwassersystem von New York oder den IQ von Colliewelpen, aber Ihre Leser interessieren sich wahrscheinlich viel mehr für Ihre Figuren und die Geschichte.
Ausnahmen von der Regel? Klar, gibt’s die nicht immer? Es hat ein paar sehr erfolgreiche Autoren gegeben, als Erstes fallen mir da Arthur Hailey und James Michener ein, deren Romane sich stark auf Tatsachen und Recherche stützen; Haileys Romane sind kaum getarnte Handbücher über die Funktionsweise von gewissen Einrichtungen (Banken, Flughäfen oder Hotels), und Michener kombiniert Reiseberichte mit Erdkundeunterricht und Geschichtstexten. Andere beliebte Schriftsteller wie Tom Clancy und Patricia Cornwell sind stärker auf die Story fixiert, verpacken aber in der Handlung große (und manchmal schwer verdauliche) Informationsbrocken. Manchmal denke ich, dass diese Autoren einen großen Teil der lesenden Bevölkerung ansprechen, der irgendwie das Gefühl hat, Belletristik sei unmoralisch, zeuge von schlechtem Geschmack, der nur mit folgender
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