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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Händen. Plötzlich hörte er auf zu singen, richtete sich auf, hielt etwas hoch, das in der Sonne glitzerte wie der Bach, und zeigte es als erstes dem Pferd. »Da«, sagte er, »das war es. Jetzt ist es wieder gut.«
    Er warf das kleine Ding weg, hob den Huf wieder an, sang aber diesmal nicht, sondern berührte ihn nur leicht mit einem Finger, strich immer wieder drüber. Dann setzte er den Huf wieder ab, und das Pferd stampfte einmal fest auf und wieherte, und der große Mann wandte sich der Frau zu und sagte: »Trotzdem sollten wir hier unser Nachtlager aufschlagen. Sie sind beide müde, und mir tut der Rücken weh.«
    Die Frau lachte. Ein tiefes, tönendes, langsames Lachen. So ein Lachen hatte ich noch nie gehört. Sie sagte: »Der größte Zauberer der Welt, und dir tut der Rücken weh? Heile ihn, so wie du meinen geheilt hast, damals, als der Baum auf mich fiel. Ich glaube, dazu hast du ganze fünf Minuten gebraucht.«
    »Länger«, antwortete der Mann. »Du warst nicht bei Sinnen, hast es gar nicht mitbekommen.« Er berührte ihr Haar, das zwar fast ganz grau, aber dick und hübsch war. »Du weißt doch, wie ich dazu stehe«, sagte er. »Ich bin immer noch zu gern sterblich, um Zauberkräfte auf mich selbst anzuwenden. Das verdirbt es irgendwie – verwässert das Gefühl. Das habe ich dir doch schon erklärt.«
    Die Frau sagte »Mmpff«, so wie ich es von meiner Mutter tausendmal gehört habe. »Also, ich bin schon mein Leben lang sterblich, und es gibt Tage, da…«
    Sie sprach nicht zu Ende, und der große Mann lächelte auf eine Art, die sagte, dass er sie necken wollte. »Da was?«
    »Nichts«, sagte die Frau, »nichts, nichts.« Sie klang einen Augenblick lang gereizt, berührte dann aber den Mann an den Armen und sagte mit einer anderen Stimme: »An manchen Tagen – manchmal früh morgens – wenn der Wind nach Blüten riecht, die ich nie sehen werde, und in den nebligen Obstgärten Kitze tollen und du gähnst und brummelst und dich am Kopf kratzt und knurrst, dass wir noch vor dem Abend Regen kriegen werden und wahrscheinlich auch Hagel… an solchen Tagen wünsche ich mir von ganzem Herzen, wir könnten beide ewig leben, und ich finde, du warst ein Riesennarr, das aufzugeben.« Sie lachte wieder, aber jetzt klang es ein bisschen zittrig. Sie sagte: »Dann wieder erinnere ich mich an Dinge, an die ich mich lieber nicht erinnern würde, und mein Magen muckt und alles Mögliche zwickt und zwackt mich – egal, was es ist und wo es weh tut, ob in meinem Körper, meinem Kopf oder meinem Herzen. Und dann denke ich, nein, wohl doch nicht, vielleicht nicht.« Der große Mann nahm sie in die Arme, und einen Moment lang legte sie den Kopf an seine Brust. Was sie noch sagte, konnte ich nicht hören.
    Meiner Meinung nach hatte ich kein Geräusch gemacht, aber der Mann hob die Stimme ein wenig und sagte, ohne in meine Richtung zu schauen oder auch nur den Kopf zu heben: »Kind, hier gibt es etwas zu essen.« Zuerst war ich vor Schreck wie gelähmt. Durchs Gebüsch und die ganzen Erlen konnte er mich nicht gesehen haben. Und dann fiel mir wieder ein, wie hungrig ich war, und ohne dass ich wusste, was ich tat, ging ich auf sie zu. Ich guckte auf meine Füße und sah, wie sie sich bewegten, wie die Füße von jemand anderem, als ob sie diejenigen wären, die Hunger hatten, nur dass sie mich brauchten, um zu dem Essen zu gelangen. Der Mann und die Frau standen ganz still da und erwarteten mich.
    Von nahem sah die Frau jünger aus, als ihre Stimme geklungen hatte, und der große Mann älter. Nein, das stimmt so nicht, das meine ich nicht. Sie war überhaupt nicht jung, aber das graue Haar machte ihr Gesicht jünger, und sie hielt sich kerzengerade, so wie die Lady, die kommt, wenn Leute bei uns im Dorf Kinder kriegen. Die hält auch ihr Gesicht ganz steif und starr, und ich mag sie nicht besonders. Das Gesicht dieser Frau hier war wohl nicht schön, aber es war ein Gesicht, an das man sich in einer kalten Nacht ankuscheln möchte. Besser kann ich es nicht sagen.
    Der Mann… im einen Moment sah er jünger aus als mein Vater und im nächsten älter als alle Menschen, die ich je gesehen habe, vielleicht sogar älter als Menschen eigentlich werden. Er hatte kein graues Haar, nur jede Menge Falten, aber das meine ich auch nicht. Es waren die Augen. Seine Augen waren grün, grün, grün, nicht wie Smaragde – ich habe mal einen Smaragd gesehen, eine Zigeunerin hat ihn mir gezeigt – und erst recht nicht wie Äpfel oder

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