Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
Vom Netzwerk:
trage, den mir meine Mutter geschenkt hat. In diese Richtung führte auch eine Art Fußpfad, und ich dachte, vielleicht könnte ich ja um Hagsgate herumlaufen und mir dann überlegen, was weiter tun. Ich bin gut zu Fuß. Ich kann überall hinlaufen, wenn man mir genug Zeit lässt.
    Nur dass es auf einer richtigen Straße leichter ist. Der Pfad hörte nach einer Weile auf und ich musste mich zwischen dichten Bäumen durchzwängen und dann durch so viel Brombeergesträuch, dass mir lauter stachlige Zweigstückchen im Haar hingen und meine Arme brannten und bluteten. Ich war müde und verschwitzt und kurz davor – aber nur davor – zu heulen, und sobald ich mich hinsetzte, um mich auszuruhen, krabbelten Käfer und anderes Getier auf mir herum. Dann hörte ich irgendwo in der Nähe Wasser plätschern, und davon kriegte ich sofort Durst, also ging ich dem Geräusch nach. Wobei ich allerdings die meiste Zeit kriechen musste und mir Knie und Ellbogen ganz fürchterlich aufschrammte.
    Es war nicht gerade ein großartiger Bach – an manchen Stellen ging mir das Wasser kaum über die Knöchel –, aber ich war so froh, als ich ihn gefunden hatte, dass ich ihn regelrecht küsste und umarmte, mich auf die Knie fallen ließ und das Gesicht im Wasser vergrub wie in Malkas stinkigem alten Fell. Und ich trank, bis nichts mehr in mich reinging, und setzte mich dann auf einen Stein, ließ die winzigen Fische meine wunderbar kühlen Füße kitzeln, fühlte die Sonne auf den Schultern und dachte weder an Greife noch an Könige noch an sonst irgendwas.
    Ich sah erst auf, als ich ein Stück bachaufwärts die Pferde wiehern hörte. Sie spielten nach Pferdeart mit dem Wasser, machten Blubberblasen wie kleine Kinder. Ganz gewöhnliche Reitgäule, einer mehr braun, der andere eher grau. Der Reiter des Grauen war abgesessen und guckte sich den linken Vorderfuß des Pferds an. Ich konnte nicht viel sehen – beide Reiter trugen schlichte, dunkelgrüne Mäntel, und ihre Hosen waren so abgewetzt, dass man die Farbe nicht mehr erkennen konnte – deshalb merkte ich nicht, dass einer von ihnen eine Frau war, bis ich dann die Stimme hörte. Eine hübsche Stimme, tief wie die von Silky Joan, über die ich meiner Mutter nicht mal Fragen stellen darf, aber auch irgendwie rau, als könnte die Frau wie ein Falke schreien, wenn sie wollte. Sie sagte: »Da ist kein Stein zu sehen. Vielleicht ein Dorn?«
    Der andere Reiter, der auf dem braunen Pferd, antwortete: »Oder eine Druckstelle. Lass mich mal schauen.«
    Diese Stimme klang heller und jünger als die der Frau, aber dass der Reiter ein Mann war, wusste ich, weil er so groß war. Er stieg von dem Braunen, und die Frau trat zur Seite, damit er den Fuß ihres Pferdes anheben konnte. Bevor er das tat, legte er dem Pferd die Hände an den Kopf, eine auf jeder Seite, und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Und das Pferd sagte etwas zu ihm. Kein Wiehern oder Schnauben oder sonst ein Geräusch, das Pferde machen, nein, es war, wie wenn jemand mit jemand anderem redet. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Dann bückte sich der große Mann, hob den Fuß des Pferdes hoch und guckte ihn sich eine ganze Weile an, und das Pferd bewegte sich nicht, schlug nicht mit dem Schweif und nichts.
    »Ein Steinsplitter«, sagte der Mann schließlich. »Nur ein ganz kleiner, aber er ist tief in den Huf eingedrungen, und jetzt schwärt es. Ich verstehe nicht, warum ich es nicht gleich gemerkt habe.«
    »Nun ja«, sagte die Frau. Sie berührte ihn an der Schulter. »Man kann nicht alles merken.«
    Der große Mann schien ärgerlich auf sich selbst, so wie mein Vater, wenn er das Weidegatter nicht richtig zugemacht hat und der schwarze Widder von unserem Nachbarn reinkommt und mit unserem armen alten Brimstone einen Kampf anfängt. Er sagte: »Ich schon. Ich habe es zu können.« Dann drehte er dem Pferd den Rücken zu, beugte sich über den Vorderhuf, wie es unser Schmied tut, und machte sich daran zu schaffen.
    Was er machte, konnte ich nicht genau sehen. Er hatte keine Hufmesser oder Hufkratzer wie der Schmied, und ich kann nur sagen, ich glaube, er sang dem Pferd etwas vor. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es richtig gesungen war. Es klang eher wie der erfundene Singsang, den ganz kleine Kinder von sich geben, wenn sie allein im Dreck spielen. Keine Melodie, nur rauf und runter, di-da, di-da-di… langweilig selbst für ein Pferd, hätte man meinen sollen. Das machte er ziemlich lange, den Huf immer noch in den

Weitere Kostenlose Bücher