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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Haggards Schloss. »O meine Lady«, wisperte sie, »das ist nur, weil du dich nicht in deiner wahren Gestalt befindest. Sobald du sie zurückbekommst, wird alles zurückkehren: deine Stärke, deine Gewissheit und deine Macht. Sie werden zurückkehren zu dir.« Es fehlte ihr der Mut, das weiße Mädchen in die Arme zu schließen, es wie ein Kind tröstend hin und her zu wiegen. Nie zuvor hatte sie so etwas auch nur geträumt.
    Doch die Lady Amalthea antwortete: »Der Zauberer hat mir nur die Gestalt eines Menschen gegeben, den Anschein, aber nicht den Geist. Wäre ich damals gestorben, wäre ich immer noch ein Einhorn gewesen. Der alte Mann, der Zauberer Mabruk, hat das gewusst. Er hat nichts gesagt, um sich an Haggard zu rächen, doch er hat es gewusst.«
    Von selbst befreite sich ihr Haar von dem blauen Seidenband, stürzte ihren Nacken hinab und über die Schultern. So viel Temperament hätte die Katze beinahe gewonnen; sie hob eine Pfote, um damit zu spielen, zog sich dann aber wieder zurück und setzte sich auf ihre Hinterbeine, den Schwanz um die Vorderpfoten geringelt, den Kopf zur Seite gelegt. Ihre Augen waren grün und goldgesprenkelt.
    »Aber das ist lange her«, sagte das Mädchen. »Jetzt bin ich gespalten, bin ich selbst – und jene andere, die du ›meine Lady‹ nennst. Denn diese ist genau so wirklich und wahrhaftig hier, wie ich es jetzt bin, obwohl sie früher nur wie ein Schleier über mich war. Sie geht durch das Schloss, sie schläft, kleidet sich an, isst, denkt ihre eigenen Gedanken. Zwar hat sie nicht die Kraft zu heilen oder zu beruhigen, doch besitzt sie dafür einen anderen Zauber. Männer sprechen mit ihr, nennen sie ›Lady Amalthea‹, und sie antwortet ihnen, oder sie antwortet ihnen nicht. Der König beobachtet sie unablässig aus seinen blassen Augen, zerbricht sich den Kopf, was sie wohl ist, und des Königs Sohn quält sich mit seiner Liebe zu ihr und zerbricht sich den Kopf, wer sie wohl ist. Jeden Tag sucht sie am Himmel und auf dem Meer, im Schloss und im Hof, im Burgverlies und in des Königs Gesicht nach etwas, woran sie sich nicht immer erinnern kann. Was sucht sie nur an diesem seltsamen Ort? Vor einem Augenblick wusste sie es noch, aber jetzt hat sie es vergessen.«
    Sie wandte ihr Gesicht Molly Grue zu, und ihre Augen waren nicht mehr die Augen des Einhorns. Sie waren immer noch sehr schön, aber auf eine Art, die einen Namen trägt, waren schön, wie eine sterbliche Frau schön ist. Ihre Tiefe war auslotbar, der Grad ihrer Dunkelheit beschreibbar. Molly sah Furcht, Verlorenheit und Verwirrung in ihnen, und sich selbst. Sonst nichts.
    »Einhörner«, sagte sie. »Der Rote Stier hat sie alle davongetrieben, alle außer dir. Du bist das letzte Einhorn. Du bist hierhergekommen, um die anderen zu finden und sie zu befreien. Und das wirst du auch.«
    Allmählich kehrte das tiefe, geheimnisvolle Meer in die Augen der Lady Amalthea zurück, füllte sie, bis sie so alt und tief und unergründlich waren wie das Meer. Molly sah es, und es machte ihr Angst, doch dann packte sie die gesenkten Schultern noch fester, als könnten ihre Hände wie ein Blitzableiter die Verzweiflung auffangen. Während sie die Lady Amalthea so hielt, erzitterte unter ihnen der Küchenboden mit einem Laut, den sie schon einmal gehört hatte: ein Laut, wie ihn gewaltige Zähne, Backenzähne, hervorbringen, wenn sie aufeinander mahlen. Der Rote Stier drehte sich im Schlaf um. ›Ob er wohl träumt?‹, dachte Molly.
    Die Lady Amalthea sagte: »Ich muss zu ihm. Es gibt keinen anderen Weg, und ich darf keine Zeit verlieren. In dieser Gestalt oder in meiner eigenen, ich muss mich ihm wieder stellen, auch wenn alle meine Gefährten tot sind und es nichts zu retten gibt. Ich muss zu ihm, bevor ich mich für immer vergesse. Doch ich kenne den Weg nicht, und ich bin so allein.« Die kleine Katze zuckte mit dem Schwanz, gab einen Laut von sich, der weder Miauen noch Schnurren war.
    »Ich werde mit dir gehen«, sagte Molly. »Ich weiß zwar den Weg zum Stier hinab so wenig wie du, aber es muss einen geben. Schmendrick wird mit uns gehen, er findet den Weg, wenn wir versagen.«
    »Von dem Zauberer erhoffe ich kein Hilfe«, erwiderte die Lady Amalthea verächtlich. »Ich sehe ihn tagein, tagaus für König Haggard den Hanswurst spielen, sehe, wie Haggard sich an seinem Missgeschick weidet, an seinem Versagen bei den allereinfachsten Zauberstücken. Er sagt wohl, es könne ihm nicht besser gelingen, bevor seine

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