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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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wartenden Schmendrick entfernt war. »So!« dröhnte er, »wenn du In Hexer bist, mach was Tricksiges. Mach meine Nase grün, füll meine Satteltaschen mit Schnee, verschwind meinen Bart! Zeig mir In Zauber, oder zeig mir deine Absätze!« Er zog einen rostigen Dolch aus dem Gürtel, ließ ihn, an der Spitze gefasst, hin und her baumeln, und pfiff heimtückisch vor sich hin. »Der Zauberer ist mein Gast!« warnte der Bürgermeister. Schmendrick aber sagte feierlich: »So sei es! Auf deinem Kopfe soll er sitzen!« Nachdem er sich aus den Augenwinkeln heraus versichert hatte, dass ihm das Mädchen zusah, deutete er auf die hinter ihrem Anführer grinsende Rotte von Vogelscheuchen und sagte etwas, was sich reimte. Augenblicklich riss sich sein schwarzer Hut aus den Fingern des Mannes, der ihn gehalten hatte, und segelte gemächlich durch die Abendluft, lautlos wie eine Eule. Zwei Frauen fielen in Ohnmacht, der Bürgermeister musste sich setzen. Die Räuber schrien wie kleine Kinder.
    Der schwarze Hut segelte den Marktplatz der Länge nach hinunter, bis er an eine Pferdetränke kam. Dort senkte er sich und füllte sich mit Wasser. Dann schwebte er, in der Dämmerung fast unsichtbar, zurück und flog schnurstracks auf Jack Jinglys ungewaschenen Kopf zu. Der bedeckte sich mit den Händen und stammelte: »Nein, nein! Ruf ihn zurück!« Sogar seine eigenen Männer lachten erwartungsvoll, Schmendrick lächelte triumphierend, schnalzte mit den Fingern, um den Hut anzutreiben.
    Kurz vor Jack Jinglys Kopf änderte der Hut seine Richtung, beschrieb erst einen leichten, dann einen starken Bogen und kam auf den Tisch der Ratsherren zu. Der Bürgermeister hatte gerade noch Zeit aufzuspringen, da saß der Hut auch schon prall auf seinem Kopf. Schmendrick hatte sich rechtzeitig geduckt, einige der Ratsherren jedoch wurden bespritzt.
    In dem schallenden Gelächter, das mit unterschiedlicher Ungezwungenheit losbrach, beugte Jack Jingly sich vom Pferd und riss Schmendrick den Zauberer, der den pitschnassen Bürgermeister mit einem Tischtuch abtrocknete, zu sich in den Sattel. »Die werden dich kaum zu einer Zugabe auffordern«, brüllte ihm der Riese ins Ohr. »Arn besten reitest du mit uns!« Er warf den Zauberer mit dem Gesicht nach unten quer über den Sattel und galoppierte davon, seine kümmerliche Kohorte hinter ihm her. Ihr Schnauben, Rülpsen und Grölen hing noch über dem Platz, als der Hufschlag schon lange verklungen war.
    Einige Männer rannten herbei und wollten vom Bürgermeister wissen, ob man hinterher solle und den Zauberer retten. Doch jener schüttelte den nassen Kopf und sagte: »Das wird kaum nötig sein. Wenn unser Gast der Mann ist, für den er sich ausgibt, kann er leicht selber auf sich aufpassen, und wenn er’s nicht ist – nun, ein Betrüger, der unsere Gastfreundschaft ausnützt, der hat keinen Anspruch auf unsere Hilfe. Nein, nein, macht euch keine Sorgen um ihn!«
    Rinnsale liefen seine Wangen hinunter, vereinigten sich mit den Bächen vom Nacken her und mit dem Fluss die Hemdbrust hinab; doch der Bürgermeister blickte wohlgefällig zur Weide hinüber, wo in der Dunkelheit die weiße Stute des Zauberers schimmerte. Lautlos trabte sie zaunauf, zaunab. »Wir sollten gut für das Reittier unseres so plötzlich abgereisten Freundes sorgen; es hat ihm offensichtlich viel bedeutet«, sagte er und schickte zwei Männer hinüber, die sie einfangen und in den sichersten Verschlag seines eigenen Stalles sperren sollten.
    Die beiden Männer hatten das Gattertor noch nicht erreicht, da sprang die Stute über den Zaun und verschwand wie eine Sternschnuppe in der Nacht. Die beiden standen lange Zeit wie angewurzelt und achteten gar nicht auf den Bürgermeister, der ihnen befahl, zurückzukommen. Keiner von den beiden verriet jemals, nicht einmal dem anderen, warum er der weißen Stute des Zauberers so lange nachgestaunt hatte. Nur hin und wieder lachten sie später inmitten sehr ernsthafter Ereignisse verwundert auf; das hatte zur Folge, dass man sie mit der Zeit für liederliche Leute hielt.

 
    Von dem ganzen wilden Ritt mit den Räubern blieben Schmendrick nur der Wind, die Sattelkanten und das Gelächter des klirrenden Riesen in Erinnerung. Der Ausgang seines Zauberstückes beschäftigte ihn so sehr, dass er kaum etwas anderes wahrnahm. ›Zu arrogant‹, grübelte er, ›Überkompensation‹. Aber dann schüttelte er den Kopf, was in seiner Lage recht schwierig war. ›Der Zauber weiß, was er will‹, dachte

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