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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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kann dich nicht in einen wahren Zauberer verwandeln.«
    »Das habe ich auch nicht erwartet«, sagte Schmendrick. »Schon gut, mach dir keine Sorgen!«
    »Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte das Einhorn.
     
    Ein Häher segelte knapp über die beiden hinweg, sagte: »Ein Nestling im Museum will ich sein«, und flog pfeilgrad nach Haus, um seiner Frau zu berichten. Sie saß auf dem Nest und sang ihren Kindern ein eintöniges Lied vor.
     
    Knackige Asseln und saftige Schnecken,
    von Hecken gepickte Läuse und Zecken,
    Käfer und Spinnen aus Rosengesträuch,
    die würg’ ich wieder aus für euch.
    Eia popeia, Lug und Trug,
    harte Arbeit ist der Vogelflug!
     
    »Hab’ ’n Einhorn geseh’n«, krächzte der Häher beim Landen.
    »Ich bemerke, dass du kein Abendessen gesehen hast«, sagte seine Frau kühl. »Ich hasse Männer, die mit leerem Munde sprechen.«
    »Kindchen, ein Einhorn!« Der Häher ließ seine gleichgültige Miene fahren und hüpfte aufgeregt hin und her. »Ich hab’ keins mehr gesehen seit …«
    »Du hast noch nie eins gesehen«, sagte sie. »Du bist mit mir verheiratet, vergiß das nicht! Ich weiß, was du in deinem Leben gesehen und was du nicht gesehen hast.« Der Häher hörte gar nicht hin. »Einen kuriosen Begleiter in Schwarz hatte es bei sich«, plapperte er.
    »Sie sind übern Katzenberg gegangen. Ich frage mich, ob sie zu König Haggard wollen.« Er verdrehte den Kopf, bis er jene kunstvolle Haltung erreichte, mit welcher er damals seine Frau erobert hatte. »Welch ein Anblick für König Haggard, wenn er gerade beim Frühstück sitzt«, staunte er. »Ein Einhorn, das seine Aufwartung macht, die Kühnheit in Person, klopfklopf an seiner Unglückstür. Ich gäbe alles drum …«
    »Ich nehme doch an, ihr zwei habt nicht den ganzen Tag damit verbracht, Einhörner zu beobachten«, unterbrach ihn seine Frau mit einem Schnabelklicken. »Zumindest früher soll sie bei der Freizeitgestaltung sehr phantasievoll gewesen sein.« Sie näherte sich ihm mit gesträubten Nackenfedern.
    »Liebling, ich hab’ sie nicht mal gesehen …«, verteidigte sich der Häher. Seine Frau wusste, dass er sie nicht gesehen hatte und es auch nicht wagen würde, aber sie zog ihm dennoch eine über. Sie war die Frau, die einen winzigen moralischen Vorteil zu nutzen verstand.
     
    Das Einhorn und der Zauberer wanderten durch den Frühling, über den sanften Katzenberg und hinab in ein veilchenfarbenes Tal, in welchem Apfelbäume wuchsen, jenseits des Tales erstreckten sich Hügel, die so fett und fügsam aussahen wie die Schafe, die verwundert das Einhorn beschnupperten, wenn es sich zwischen ihnen bewegte. Nach den lenzlichen Hügeln kamen die sommerlichen Berge und die verbrannten Ebenen, über denen die Luft wie Kandiszucker schimmerte. Gemeinsam durchquerten Einhorn und Zauberer Bäche und Flüsse, kletterten dornige Halden und Hänge hinauf und hinunter, zogen durch Wälder, die das Einhorn an seine Heimat erinnerten, obgleich sie ihr gar nicht ähneln konnten, da die Zeit sie berührt hatte. ›Das ist meinem Wald jetzt auch geschehen‹, dachte es; aber dann redete es sich ein, dass nach seiner Rückkehr alles wieder würde wie zuvor.
    Bei Nacht, während Schmendrick den Schlaf eines hungrigen, fußkranken Zauberers schlief, lag das Einhorn kauernd da und wartete, dass die riesige Gestalt des Roten Stieres aus dem Mond hervorgestürmt käme. Manchmal roch es, was sein Geruch sein musste: einen dumpfen, hinterhältigen Dunst, der die Nacht durchzog und nach ihm suchte. Da sprang es dann mit einem’ schrillen Kampfschrei hoch – und sah ein Rudel Rehe, das aus respektvoller Entfernung herüberäugte. Rehe lieben und beneiden Einhörner. Einmal kam ein Böcklein in seinem zweiten Sommer, von seinen kichernden Freunden vorangeschubst, ziemlich nah heran und murmelte mit gesenkten Augen: »Du bist sehr schön, du bist genauso schön, wie meine Mutter gesagt hat.«
    Das Einhorn sah es schweigend an, wusste, dass es keine Antwort wollte. Die anderen Rehe kicherten und wisperten: »Weiter, weiter!« Da hob das Böcklein den Kopf und rief schnell und fröhlich: »Aber ich kenne jemanden, der ist schöner als du!« Es warf sich herum und stob im Mondlicht davon, und seine Freunde folgten ihm. Das Einhorn legte sich wieder.
    Hin und wieder kamen sie in ein Dorf, und Schmendrick stellte sich dann als wandernden Zauberer vor; er ging durch die Straßen und machte sich mit lauter Stimme erbötig, »eure Nerven ein wenig zu

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