Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Gemahl die Hand. »Viel Glück, Euer Gnaden.«
»Danke, Euer Majestät. Lange genug habe ich auf diesen Augenblick gewartet.«
»Wie lange?«
»Vierzehn Jahre, zwei Ehemänner, zwei Aufsehen erregende Affären, einen päpstlichen Dispens zur Scheidung meiner eigenen Ehe und ich weiß nicht wie viele Anträge, die sie alle in den Wind geschlagen hat.«
»Ihr gebt nie auf, nicht wahr, Euer Gnaden?«
»Seine Heiligkeit der Papst hat mich nicht zu seinem Condottiere ernannt, weil ich in dem Ruf stehe, in ausweglosen Situationen aufzugeben.«
Ich versuche sein Gesicht zu erkennen, denn in meiner Erinnerung verändert es sich immer wieder.
Wer ist er? Gil?
Gil, der mich töten will, ist mein Ehemann? Gott, steh mir bei! Panisch richte ich mich auf. Mein Blick huscht durch den Raum: ein Himmelbett, ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Waschschüssel mit Wasserkrug, zwei Reisetruhen – aber außer einem gusseisernen Schürhaken neben dem Kamin keine Waffe. Wie kann ich mich gegen ihn wehren?
Gil hat mich nicht aus den Augen gelassen. Jetzt beugt er sich über mich und küsst mich sanft auf die Stirn. Den Rubinring hat er sich an den Finger gesteckt.
»Um Himmels willen, Gil. Wer bin ich?«
»Adriana de Zafra y de Borja, eine Reliquienhändlerin aus Córdoba. Seit einigen Monaten bist du Adriana Alvarez, meine Frau … ¡Por el amor de Dios! Du bist plötzlich so blass, Adriana …«
»Sind wir …« Ich zögere zu fragen. »Sind wir … glücklich?«
»Wir sind glücklich«, beteuert er.
»Ich möchte alles über mich wissen.«
Er lächelt matt. »Du bist intelligent, entschlossen, mutig, manchmal ziemlich resolut …«
»Resolut?«
»Eher stürzt der Himmel ein, und die Engel gehen in die Hölle ins Exil, bevor du auch nur ein Mal nachgibst.«
»Tut mir leid.«
»Ich liebe dich, wie du bist.«
Kraftlos lasse ich mich ins Kissen sinken. »Hast du einen Spiegel?«
Er haucht mir einen zärtlichen Kuss auf die Wange, springt auf, reißt die Tür auf und verlässt mit großen Schritten den Raum.
Interessant, denke ich, wir sind verheiratet und haben getrennte Zimmer?
Hastig ziehe ich die herausgerissene Pergamentseite unter der Bettdecke hervor und betrachte sie.
Αχειροποιητον
»Acheiropoieton. Ein nicht von Menschenhand gemachtes Bild.« Ich wende den zerknüllten Zettel und lese: »Mandylion.«
Μανδηλιον
Keine Erinnerung, kein Gefühl, nichts.
Ich habe das geschrieben, sagt Gil. Ich bin Reliquienhändlerin, sagt Gil. Das nicht von Menschenhand gemachte Mandylion – ist das nicht eine Reliquie? Ist es der Schatz, den Gil und seine Henkersknechte suchen und den ich irgendwo in dieser Abtei versteckt haben soll? Diese Seite stammt aus einem Notizbüchlein … Gibt es noch mehr Aufzeichnungen? Eine Beschreibung? Eine Skizze? Eine Schatzkarte? Wo ist das Büchlein? Und wo ist der Schlüssel, den ich drei Tage lang in der Hand hielt, als hinge mein Leben davon ab?
Rasch sehe ich mich im Zimmer um. Dort liegt er, auf dem Tisch in der Mitte des Raums.
Als ich den Schlüssel sehe, überwältigt mich wieder die Erinnerung. Ein großer nasser Blutfleck an einer mit hellem Marmor verkleideten Wand … Rinnsale von Blut fließen hinunter und sammeln sich in einer Lache neben einer Leiche … So viel Blut! Dann sehe ich den anderen, der mit verdrehten Gliedern auf dem glänzenden Marmorboden liegt. Blicklos starren seine Augen zur Kuppel hinauf. Neben ihm liegt ein Pergamentzettel, der aus einem Notizbüchlein herausgerissen wurde. Die griechische Schrift kann ich nicht lesen.
Ich betrachte meine Hände. Sie sind rot und nass vom Blut. So wie der Dolch, den ich umklammere. Was habe ich getan? Jemand schluchzt und schreit. Bin ich das, oder ist noch jemand hier, der das Mandylion sucht? Wie ein scharfes Schwert durchfährt mich plötzlich die Ahnung einer Gefahr, die hinter mir lauert. Panisch reiße ich den Dolch hoch und wirbele herum. Ein schwarzer Schemen kommt unaufhaltsam auf mich zu. Auf seiner Brust leuchtet ein weißes Kreuz … in der Hand hält er ein Schwert …
Gil reißt mich heraus aus diesen albtraumhaften Bildern. Mit einem kleinen Handspiegel, kaum größer als eine Scherbe, steht er auf einmal in der offenen Tür und beobachtet mich mit einem Stirnrunzeln. Wie lange steht er schon dort?
Hastig lasse ich den Zettel wieder unter der Bettdecke verschwinden.
Fra Gil geht, als lehne er sich gegen einen Sturm, der ihm entgegenweht – als sei er bereit zum Kampf. Er ist ein
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