Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Kaiser-Wilhelm-Schnauzbart und Marineuniform sowie ihren Gattinnen mit geschnürter Taille und hohem Busen. Nur das zarte Aquarell einer jungen Frau in Biedermeiertracht stach aus dem stilistischen Rahmen.
»Schön, nicht wahr?« Fitzpatrick war unbemerkt an Theo herangetreten. »Sie war die Tochter des alten Admirals dort drüben.« Er deutete auf das Porträt eines grimmig blickenden Herrn mit Monokel. »Sie hieß Elise. Es heißt, sie habe sich in der Elbe ertränkt, als ihr Vater ihr verbot, ihren Liebsten zu heiraten. Er war wohl nicht ganz standesgemäß.«
»Wie traurig«, sagte Theo anteilnehmend.
»Sie haben Glück.« Die weißen Zähne blitzten. »Der Professor ist gerade in Besucherlaune. Aber ermüden Sie ihn nicht zu sehr. Er ist ein sehr alter Mann.«
Theo neigte zustimmend den Kopf. Sie durchquerten die Eingangshalle, die mit einem Schachbrettmuster aus schwarzem und weißem Marmor ausgelegt war. Von ihr ausgehend öffneten sich Flügeltüren zu fünf weiteren Räumen. Fitzpatrick durchschritt die mittlere. Durch ein Zimmer voller Bücherwände gelangten sie in einen Raum, der trotz des trüben Wetters und der Dämmerung noch in Tageslicht getaucht war. Drei bogenförmige Sprossenfenster blickten auf die Elbe, links und rechts ermöglichten Erker die Sicht in drei Himmelsrichtungen und gaben ein grandioses Panorama frei. Der Raum war sparsam möbliert: ein Schreibtisch mit Ebenholzintarsien und eine überraschend moderne Sitzgruppe auf einem dicken, cremefarbenen Wollteppich. Auf einem Beistelltisch simmerte ein Samowar.
Der Mann hinter dem Schreibtisch sah keinen Tag älter aus als achtzig. Theo erkannte in ihm mühelos den Segler von dem Bild auf Annas Computer wieder. Er hatte schon öfter über die erstaunlichen Menschen gelesen, die angeblich mit sogenannten Methusalem-Genen gesegnet waren, nach denen Altersforscher in aller Welt fahnden. Die glückliche Kombination schützender Genvarianten machte sie resistent gegen schädliche Umwelteinflüsse und bewahrten ihre Träger wirksam vor Demenz, Herzinfarkt und Krebs. Menschen mit solchen Genen waren geistig und körperlich fit bis ins allerhöchste Alter. Tabak und Alkohol konnten ihnen wenig anhaben. Und sie wurden uralt. Heute machte er erstmals persönlich Bekanntschaft mit einem Gewinner der genetischen Lotterie.
»Guten Tag. Doktor Matthies, nicht wahr?« Der alte Herr erhob sich. Theo registrierte die karamellfarbene Cordhose und einen beigen Kaschmirpullover. Im V-Ausschnitt war ein exquisites Seidentuch drapiert, das Theo an ein Porträt von Oscar Wilde erinnerte.
»Nehmen Sie doch bitte Platz.« Bergman geleitete den Gast zuvorkommend zu der Sitzlandschaft. »Ich wollte gerade meinen Tee trinken. Sie möchten doch sicher auch eine Tasse?« Auch Bergman hatte einen unverkennbar amerikanischen Akzent. Erworben in mehr als einem halben Jahrhundert in den USA. Theo nickte ergeben. Fitzpatrick schenkte zwei Tassen ein, stellte Milch, Zucker und Gebäck in Reichweite und zog sich dann lautlos zurück.
»Ich muss gestehen, ich bin neugierig.« Der Gastgeber lehnte sich zurück und betrachtete Theo genau. In seinem von tiefen Falten umkränzten Blick saß der Schalk. »Sie sagen, Sie kommen in einer privaten Angelegenheit?«
»Gewissermaßen. Es geht um eine … gemeinsame Bekannte, will ich mal sagen. Anna Florin. Sie hat Sie vor zehn Tagen besucht«, wagte Theo sich vor und hielt den Atem an. Wenn Bergman das jetzt abstritt, kam er nicht weiter.
»Frau Doktor Anna Florin«, sagte Bergman gedehnt. »Natürlich erinnere ich mich. Das war wirklich eine … eindrucksvolle Begegnung, könnte man sagen.«
»Sie hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie Tierversuche durchgeführt haben?«
»Nein, keineswegs.« Bergman schüttelte überrascht den Kopf. »Natürlich habe ich schon viel Ärger mit militanten Tierschützern gehabt. Sehen Sie, die Geschichte der Hirnforschung liest sich wie ein Buch des puren Sadismus.« Er lächelte entschuldigend. »Der gefeierte Professor Gustav Fritsch beispielsweise hat bereits 1870 bahnbrechende Versuche mit Hunden gemacht. Es ging damals darum, herauszufinden, welche Hirnregionen für welche Aufgaben zuständig sind. Dazu hat er den Tieren die Schädel geöffnet, Teile des Gehirns mit Wasser ausgespült und dann beobachtet, wozu die armen Viecher noch in der Lage waren. Auf diese Methode mit dem Wasser ist er gekommen, weil die Hunde zu schnell verblutet sind, wenn er die Hirnteile einfach herausgeschnitten
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