Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
und Fahrradfahrern benutzt. 1911 erbaut, waren seine zwei Röhren mit prächtigen Fliesen geschmückt. Theo liebte die unterirdische Reise, seit er ein Kind war. Die Meereswesen, die die Seitenwände schmückten, vermittelten den Eindruck, man durchliefe Neptuns Reich. Am Ende wartete ein altehrwürdiger Fahrstuhl, der die Reisenden mit viel Gerumpel an die Oberfläche in St. Pauli beförderte. Die backsteinerne Ausgangshalle krönte eine grüne Kupferkuppel.
Immer elbabwärts fuhr Theo bis nach Teufelsbrück. Die Parkplatzsuche war schwierig geworden, seit die großen Besucherparkflächen einer sterilen, gepflasterten Promenade gewichen waren. Er spazierte ein Stück den Strand entlang und versuchte, möglichst nahe an der ungewissen Linie zu laufen, bis zu der die Wellen leckten. Jede dritte, vierte Welle eroberte ein gutes Stück mehr an Boden als ihre zurückhaltenden Vorgänger. Wer da nicht aufpasste, holte sich nasse Füße. Das Wetter war grau, aber trocken. Höchsttemperatur minus drei Grad Celsius, hatte der Deutsche Wetterdienst für Hamburg vorhergesagt. Theo kam es kälter vor.
Mit leichtem Unbehagen dachte er an den bevorstehenden Besuch. Er hatte sich nicht telefonisch angekündigt. Jemanden, der bereits vor der Tür stand, konnte man schlechter abwimmeln.
Zumal sein Anliegen schwer vorzubringen sein würde. »Guten Tag, hatten Sie letzte Woche Besuch von einer alten Dame? Sie haben sie nicht zufällig ermordet?« Er schüttelte den Kopf. Er musste ganz einfach seiner Eingebung vertrauen, den Dingen ihren Lauf lassen. Solche Gespräche waren nicht planbar. Theo bückte sich und versuchte, ein paar flache Kieselsteine über die Elbe hüpfen zu lassen. Es funktionierte nicht. Das Wasser war zu unruhig.
Die Villa lag diskret hinter hohen Mauern verborgen. Hanseaten protzen nicht. An der Messingklingel stand kein Name. Von oben starrte das Auge einer Überwachungskamera auf ihn herab. Er holte kurz Luft und drückte auf den Klingelknopf. Umgehend erklang ein »Ja, bitte?« aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage.
»Matthies. Doktor Theo Matthies. Ich hätte gern Professor Bergman gesprochen, wenn es möglich ist.«
Zu Theos Überraschung öffnete sich die Tür ohne weitere Nachfragen. »Bitte, kommen Sie doch herein«, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher.
Wie Theo bereits von den Bildern im Internet wusste, gehörte das Haus zu den wenigen bevorzugten Objekten, die direkten Zugang zum Elbstrand hatten und nicht durch die Elbchaussee vom Fluss getrennt waren. Es war ein elegantes, zweistöckiges, nicht allzu großes Gebäude, weiß mit rotem Ziegeldach. Hohe Sprossenfenster ließen einen flüchtigen Blick ins Innere erhaschen. In der sich bereits ankündigenden Dämmerung funkelte ein Kronleuchter. Der Kiesweg führte schnurstracks auf eine Treppe zu, die statt von kauernden Löwen von Meerjungfrauen bewacht wurde. Sie waren das einzige opulente Detail, das aus dem stilvoll schlichten Rahmen fiel. Theo vermutete, dass das Haus einst einem vermögenden Reeder gehört hatte. Schnell schritt er über den knirschenden Kies auf die schwarz lackierte Eingangstür zu. Bevor er den Türklopfer in Form eines Delfins betätigen konnte, öffnete sie sich. Vor ihm stand ein Mann, dessen Kleidung – schwarzer Rollkragenpullover, dunkle Jeans – Theos eigener ähnelte. Theo stellte fest, dass er verblüfft war. Er hatte eine Haushälterin oder eine Art Butler erwartet.
»William Fitzpatrick«, sagte der Mann. »Treten Sie doch bitte näher.« Nur der Anflug eines angelsächsischen Akzents und seine gewählte Ausdrucksweise verrieten, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war. »Ich bin Professor Bergmans Sekretär. Sie wollten den Herrn Professor sprechen – Doktor?« Die kurze Pause betonte das Fragezeichen, das mitschwang.
Theo musterte sein Gegenüber. Mitte dreißig. Schlank und groß. Dunkles, welliges Haar, aus der Stirn gebürstet. Er hätte Theos Bruder sein können, hätte er nicht diese perfekten Zähne und den gletscherblauen Blick gehabt. Theos Augen changierten zwischen Bernstein und Haselnuss. »Ich hätte Professor Bergman gern in einer privaten Angelegenheit gesprochen.«
»Warten Sie einen Moment. Ich frage nach, ob es passt.«
Theo vertrieb sich die Zeit, indem er die Bilder an den Wänden der Halle betrachtete. Keines von ihnen schien jüngeren Datums als 1920 zu sein. Große Windjammer, die mit geblähten Segeln durch die Wellen pflügten. Porträts von Männern mit
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