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Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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hat.«
    Er beobachtete sein Gegenüber amüsiert über den Rand seiner Teetasse hinweg.
    »Wie scheußlich«, sagte Theo.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass meine Äffchen weniger leiden mussten. Sie hatten natürlich kein schönes Leben. Aber sie hatten keine Schmerzen.«
    Theo schwieg.
    »Niemand ist glücklicher als wir Hirnforscher, dass inzwischen der größte Teil der Experimente ohne Tierversuche möglich ist. Seit ein paar Jahren können wir dem menschlichen Hirn beim Denken zusehen. Das ist absolut faszinierend. Aber ohne die Tierversuche hätten wir Menschen mit Epilepsie, mit Hirntumoren, mit Schlaganfällen vor fünfzig, ja sogar noch vor zwanzig Jahren sehr viel weniger helfen können.«
    »Ich weiß«, sagte Theo matt, »ich bin selbst Mediziner.«
    »Na dann.« Bergman nippte an seinem Tee.
    »Zurück zu Anna Florin. Sie kam also nicht wegen der Tierexperimente?«
    »Nein. Wie gesagt, es war eine sehr seltsame Begegnung. Sie ist eine bemerkenswerte Person, nicht wahr?«
    »War. Ich meine, sie war bemerkenswert. Sie ist an dem Abend nach dem Besuch bei Ihnen gestorben.«
    »Du meine Güte.« Mit ruhiger Hand stellte Bergman seine Tasse auf dem Couchtisch aus schwarzem Schiefer ab. Dabei schob sich der Ärmel seines Hemds nach oben und entblößte eine eintätowierte Nummer.
    Das Brandmal der Hölle, dachte Theo mit fasziniertem Grausen. Bislang hatte er die Tätowierungen, mit der die Nazis ihre KZ-Häftlinge von Menschen zu Nummern gemacht hatten, noch nie an einem lebenden Menschen gesehen.
    »Wir hätten sie wirklich nicht so einfach gehen lassen dürfen«, fuhr Bergman fort. »Wissen Sie, Frau Florin tauchte hier am frühen Nachmittag auf. Offenbar hielt sie mich für jemand anderen. Sie muss mich verwechselt haben und hat vollkommen widersinnige Anschuldigungen erhoben. Sie haben von dem Zwischenfall auf der Konferenz gehört?«
    Theo nickte.
    »Jedenfalls hatte sie sich wohl in eine Psychose hineingesteigert. Sie litt ganz offensichtlich unter Wahnvorstellungen.«
    »Was hat sie Ihnen denn nun vorgeworfen?« Theo beugte sich vor.
    Der Professor winkte ab. »Das war es ja gerade. Ich bin nicht schlau aus dem geworden, was sie gesagt hat. Ich fürchte, Frau Doktor Florin war zu diesem Zeitpunkt ein wenig verwirrt. Es ging augenscheinlich um irgendwelche Kriegsverbrechen. Aber das ist natürlich völlig unmöglich. Ich war ab Mai 1940 im KZ Neuengamme.«
    »Ich verstehe«, sagte Theo perplex.
    »Alles wegen ein paar Zeichnungen«, erklärte Bergman. »Ich habe Nazikarikaturen gemacht.« Er lächelte bei der Erinnerung.
    Theo fühlte sich wie ein begossener Pudel. »Davon steht nichts in Ihrem Lebenslauf.«
    »Ich wollte das nicht an die große Glocke hängen. Sehen Sie, ich war kein Held des Widerstands. Es waren einfach nur ein paar Bilder zum privaten Amüsement. Leider haben die Nazis überhaupt keinen Spaß verstanden.« Bergman trank einen Schluck Tee. »Woran, sagten Sie, ist sie gestorben?«
    »Oh, das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Anna Florin ist erfroren.«
    Bergman nickte bedächtig. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass alte Menschen eine Psychose entwickeln. Die Kommunikation der Nervenzellen klappt nicht mehr. Filtermechanismen versagen. Gegenwart und Erinnerungen vermischen sich zu einer neuen Realität. Das ist ganz ähnlich wie bei einer Schizophrenie.«
    Offen blickte er Theo an. »Jetzt muss ich mir schreckliche Vorwürfe machen. Ich wollte sie von William heimbringen lassen, aber sie hat sich strikt geweigert. Trotzdem hätten wir sie nicht gehen lassen dürfen, in ihrem Zustand.« Er seufzte und schaute betrübt vor sich auf den Boden.
    »Sie ist also einfach wieder gegangen.«
    »Ja. Es muss gegen vier oder halb fünf gewesen sein. Ich muss gestehen, ich war ein wenig erleichtert.«
    »Sie haben Ihr nicht zufällig ein Beruhigungsmittel gespritzt?«
    »Wo denken Sie hin? So was habe ich nicht im Haus – und dann hätte ich sie auch nicht allein vor die Tür gelassen. Wissen Sie, das war ja die Krux: Sie hatte zwar Wahnvorstellungen, was mich betrifft, sie hat sich abgesehen davon aber absolut zielgerichtet verhalten. Ich hatte keine Bedenken, dass sie wieder gut nach Hause findet.«
    Es gab nichts mehr zu sagen. Theo erhob sich und reichte dem Professor die Hand.
    »Vielen Dank für Ihre Auskünfte«, sagte er.
    Bergman legte ihm eine Hand auf die Schulter. Theo schauderte. »Sie war eine Freundin von Ihnen?«
    »Ja«, sagte Theo. »Anna war eine Freundin.«

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