Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
dem Stall befand sich ein dick mit Heu ausgestreutes Gatter, in dem drei Jungschweine, aufgeregt über den Besuch, herumgaloppierten. Als Theo sich näherte, streckten sie neugierig rüsselnd ihre Steckdosennasen durch das Gatter. Ihr Fell war kurz und hell mit schwarzen Flecken. »Na, euch scheint es ja saumäßig gut zu gehen«, begrüßte Theo die Borstentiere.
»Datt will ich wohl meinen.« Im schummerigen Licht des Stalls sah Theo den Besitzer der kleinen Horde stehen. Hein Kruse stützte sich auf einer Heugabel ab. Trotz der Kälte trug er nur ein verwaschenes kariertes Flanellhemd über der ausgebeulten Latzhose, die in einem Paar olivfarbenen Gummistiefeln steckte.
»Bist’n büschen früh, mein Jung, wollt’ mich eigentlich noch besuchsfein machen.« Kruse stellte die Heugabel ab, fuhr sich durchs schüttere Haar und kam zu Theo herübergeschlendert. Sein leicht wiegender Gang erinnerte an einen Matrosen.
»Dann man immer rinn in die gute Stube.«
Er geleitete den Gast in die Küche des Bauernhauses. Die Einrichtung schien noch aus den 50er-Jahren zu stammen, schätzte Theo, der sich bei Lars einige Kenntnisse abgeguckt hatte. Die Möbel waren einfach und abgewohnt, aber blitzblank. Auf dem Küchentisch lag eine brüchige, rot karierte Wachstuchdecke, darum herum standen vier schlichte Stühle. Kruse bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und wusch sich dann die Hände gründlich mit einem Stück Kernseife an der Küchenspüle aus abgestoßenem Porzellan. »Immerhin hab ich schon Kaffee gekocht«, sagte er und stellte eine abgegriffene Thermoskanne sowie zwei Becher auf den Tisch. »Gesangsverein Frohsinn e.V.«, stand auf Theos Becher, darunter die verwaschene Fotografie einer zur Unkenntlichkeit verblassten Menschengruppe.
Hein Kruse setzte sich Theo gegenüber und schenkte Kaffee ein. Ein würziger Duft breitete sich aus, und Theo dachte einmal mehr, dass Kaffee viel besser roch, als er tatsächlich schmeckte.
»Eindrucksvoll, Ihre Rasselbande da draußen«, lobte Theo. »Da sind Sie wohl einer der wenigen glücklichen Menschen, die ihre Berufung schon in jungen Jahren gefunden haben.«
Hein Kruse fuhr sich über das Kinn, dass die Bartstoppeln raschelten. »Die Schweinezucht meinen Sie?« Er lächelte, als er auf sein Leben zurückblickte. Wie er nach dem Krieg sein Talent für den Schwarzmarkt entdeckt hatte. Wie er in den 50er-Jahren mit einer Baufirma ein Vermögen gemacht hatte. Wie er spät die Liebe seines Lebens kennengelernt hatte. Wie er und Lola ein Leben in Saus und Braus geführt hatten. Wie er nach ihrem Tod vor sieben Jahren alles verkauft hatte und in seine alte Heimat zurückgekehrt war. Wie er das Häuschen entdeckt hatte, dessen Besitzerin ins Altersheim musste … Bis auf den Stall hatte er alles so gelassen, wie er es übernommen hatte, inklusive der verblichenen roten Thermoskanne. Aber das alles spielte keine Rolle für sein Gegenüber. Hein lächelte. »Jo, dass kann man wohl sagen, dass ich Glück gehabt habe.«
Dann legte er die gespreizten Hände flach auf den Tisch. Sie waren kräftig, kompakt und quadratisch geformt, wie der ganze Mann. »Sie kommen also wegen Stift Eichenhof.«
Theo nickte. »Ich komme vor allem wegen dieses Mannes.« Er reichte Kruse das Bild von Bergman. »Können Sie sich an den erinnern?«
Hein Kruse nahm das Bild bedächtig in seine Pranken und vertiefte sich in den Anblick. Trotz seiner 79 Jahre waren seine Augen noch scharf. »Die Lüüd verändern sich. Das Bild hier ist bestimmt zwanzig Jahre später gemacht worden. Nach meiner Zeit in Eichenhof, mein ich. Trotzdem: Ich kann das zwar nich’ beschwören, ich bin mir aber verdammt sicher: Der Kerl hier hat in Eichenhof als Doktor gearbeitet.«
Endlich, dachte Theo. Endlich ein Zeuge.
Doch dann sollte sich zeigen, dass Hein Kruse den Hirnchirurgen zwar wiedererkannte, er wusste aber nicht, wie er damals geheißen hatte. »Mit uns niederem Volk haben die feinen Herren Doktoren sich nich’ gemein gemacht«, erklärte er. »Bis auf Otto Richter. Das war ein feiner Mensch, der hat auch mit unsereins mal geschnackt.« Ansonsten habe man natürlich mal den einen oder anderen Namen gehört und auch den einen oder anderen im Vorbeigehen getroffen. Aber welcher Name zu welchem Gesicht gehörte, wusste er nach so langer Zeit nicht mehr.
Trotzdem, dachte Theo. Wenn Sven tot war, kam offenbar nur noch Konstantin zu Weißenfels für die Rolle des Wiedergängers infrage. »Was genau ist eigentlich passiert
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