Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
Vom Netzwerk:
bin auch gar nicht wegen Ihrer Verurteilung hier, falls Sie das annehmen.«
    »Nicht?« Das Schaf musterte sie spöttisch. »Weswegen sollten Sie sich wohl sonst die Mühe machen, eine gebrechliche alte Frau auf ihrem Totenbett aufzusuchen?«
    Totenbett? Hanna war überzeugt, dass die zähe Alte die Pflegerinnen noch viele Jahre lang piesacken würde.
    »Es geht um Ihre Arbeit in Stift Eichenhof. Während des Krieges.«
    Ilse Steiner schwieg. Hanna konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.
    »Kann mich an nichts mehr erinnern.« Die Alte tippte sich mit einem klauenförmigen Finger an die Stirn. »Nicht mehr ganz dicht im Oberstübchen, wissen Sie.« Sie warf ihrer Besucherin einen listigen Blick zu.
    Hanna kochte innerlich. »Vielleicht schauen Sie sich freundlicherweise trotzdem einmal dieses Bild an.« Sie konnte sehen, wie die alte Frau zwischen dem Wunsch, ihr jede Bitte abzuschlagen, und der Neugier schwankte. Die Neugier trug den Sieg davon.
    Hanna reichte ihr das Bild von Jonathan Bergman. Ilse Steiner griff begierig danach.
    »Geben Sie mir meine Brille. Die ist da im Nachtkästchen. Oberste Schublade.«
    Hanna gehorchte und fischte das uralte Gestell mit spitzen Fingern zwischen gebrauchten Taschentüchern hervor.
    »Können Sie sich daran erinnern, dass dieser Mann in Eichenhof als Arzt gearbeitet hat?«
    Ilse Steiner starrte auf das Bild in ihren Händen. Auf ihrem Gesicht breitete sich erst Verblüffung und dann ein böses Lächeln aus. Triumphierend reichte sie Hanna das Foto zurück. »Nie gesehen.«
    »Ich bin sicher, die alte Hexe wusste ganz genau, wer das auf dem Bild war«, schnaubte Hanna. Sie lag auf der Couch in ihrer schönen Altbauwohnung im Stadtteil Eimsbüttel, sieben Kilometer Luftlinie von Theo entfernt. »Die hat mir doch aus purer Bosheit nichts erzählt.«
    »Wir haben ja noch einen potenziellen Zeugen in petto«, tröstete Theo.
    »Trotzdem.« Hanna nahm einen großen Schluck aus ihrem wohlgefüllten Rotweinglas, verschluckte sich und hustete.
    »Soll ich einen Krankenwagen holen?«
    »Geht schon wieder«, japste Hanna. »Was ich sagen wollte: Es war einfach so widerlich. Die Alte hat quasi aus dem Stand eine Pro-Euthanasie-Erklärung abgegeben. ›Lebensunwertes Leben‹. Dass jemand das noch in den Mund nehmen kann! Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte«, zitierte sie Max Liebermann. »Als es mir schließlich gelungen ist, sie zu unterbrechen, hab ich gefragt, was sie denn der Gesellschaft noch zu bieten hätte, dort auf ihrem Siechenlager. Und was hat sie dazu gesagt? Sie hat mir recht gegeben! Sie hat gesagt, unnütze Esser wie sie sollte man ruhig beseitigen. ›Aber dank der ach so überlegenen Moral von Ihnen und Ihresgleichen muss die Welt mich ertragen, füttern, wickeln und baden – bis zum bitteren Ende‹, hat sie gesagt.«
    »Na, dann ist sie ja wenigstens konsequent.«
    Hanna schnaufte. »Was mich am meisten ärgert, ist, dass ich ihr auf den Leim gegangen bin. In dem Moment habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gedacht, dass ein ärztlich angeordneter Tod in einigen Fällen gar nicht so übel wäre.«
    »Hanna!«
    »Ich weiß. Ist das nicht schrecklich?«
    Sonntag, 28. Dezember 2008
    Am nächsten Tag lag Hanna mit 39 Grad Fieber im Bett. »Ich bin sicher, die Alte hat mich verflucht«, war ihr matter Kommentar. So machte sich Theo allein auf zu dem letzten Zeitzeugen auf ihrer Liste. Hein Kruse, der sich vor siebzig Jahren um die Schweine in Stift Eichenhof gekümmert hatte. Er lebte inzwischen in einem kleinen Ort im Alten Land, einem Landstrich im Süden vor den Toren Hamburgs, der vor allem für die unglaublichen Massen von Obstbäumen, die sich dort zusammendrängten, berühmt war. Im Frühling machte Theo hier traditionell eine Fahrradtour entlang der blühenden Obstplantagen: Schneeweiße Apfelblüten wechselten sich dann mit dem zarten Rosa der Kirschen ab. Heute reckten die Bäume ihre nackten Äste in den bleichen Winterhimmel, und unzählige Krähen schlugen laut krächzend ihre Kapriolen. Die Elbe versteckte sich hinter dem hohen Deich, den einst Holländer gebaut hatten, um den Boden des Alten Landes urbar machen zu können. Vereinzelt mühten sich Spaziergänger, den Windböen zu trotzen.
    Das Haus von Hein Kruse entpuppte sich als reetgedecktes Backsteinhäuschen, ganz ähnlich wie das, das Theo bewohnte. Als Theo den kopfsteingepflasterten Hof betrat, sah er, dass Hein Kruse offenbar den Schweinen treu geblieben war: Vor

Weitere Kostenlose Bücher