Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
indiskutabel aus.
Theo unterdrückte ein Grinsen, als sie wieder hinter dem Taschentuch auftauchte. Ihre Locken standen noch wilder ab als gewöhnlich, ihre Augen glänzten fiebrig, und die sonst schneewittchenblassen Wangen waren gerötet. Er fand sie hinreißend.
»Kann ich noch irgendwas für dich tun? Weintrauben kaufen oder etwas aus der Apotheke holen?«
Hanna schüttelte matt den Kopf. Je eher er ging, desto besser.
»Dann fahre ich jetzt ins Institut rüber. Da gibt es noch reichlich zu tun.« Er winkte ab, als Hanna aufstehen und ihn zur Tür begleiten wollte. »Bleib ruhig liegen«, sagte er. Dann beugte er sich spontan zu ihr hinunter und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.
Hanna vergaß augenblicklich, dass ihre Nase lief und sie verschwitzt und klebrig war. Ihre Arme schlangen sich wie von selbst um Theos Hals und zogen ihn zu sich herab.
Im ersten Augenblick war er verblüfft, doch dann genoss er die Situation.
Sie küssten sich heftig, bis eine Niesattacke die hitzige Umarmung abrupt beendete. »Entschuldige«, sagte Hanna und schnäuzte sich. Sie strich sich die feuchten Locken aus der Stirn, die umgehend in die Ausgangsposition zurücksprangen. »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst?« Es klang wie eine Frage.
Theo lachte. »Puh, das war … unerwartet.«
Hannas Gesicht färbte sich so tomatenrot wie ihre Nase.
»Ich muss wirklich noch arbeiten«, sagte er bedauernd. Er rappelte sich auf. Sein Knie, das er sich während der Knutscherei am Couchtisch gestoßen hatte, schmerzte. »Und du brauchst Ruhe – ärztliche Anordnung.« Er küsste sie noch einmal zart zum Abschied. »Ich ruf dich nachher an«, versprach er.
Als das Telefon schon eine halbe Stunde später klingelte, nahm Hanna nicht ab. Sie zog sich ein Kissen über den Kopf, um nicht hören zu müssen, was Theo auf den Anrufbeantworter sprach. Theo. 34 Jahre alt und somit sechs Jahre jünger als sie selbst. Gut aussehend. Witzig. Zornig, wenn es darum ging, gegen Unrecht vorzugehen. Ein Mann, der seine Karriere als Chirurg aufgegeben hatte, um Bestatter zu werden. Ein bisschen schräg, der Typ, aber nach ihrem Geschmack. Sie wollte sich nicht verlieben. Sie wollte sich natürlich schon verlieben. Aber nicht in Theo.
Ihre letzte Beziehung war daran zerbrochen, dass ihr Ex nicht aufgehört hatte, seiner großen Liebe hinterherzutrauern. Eine absolut fade Person, wie Hanna fand. Diesmal könnte es noch schlimmer werden, argwöhnte sie. Diesmal würde sie nicht gegen eine Frau aus Fleisch und Blut antreten müssen, sondern gegen das verklärte Bild einer Toten. Die Sache schien ihr hoffnungslos. Sie hatte die Bilder bewundert, die Nadeshda angefertigt hatte und die noch immer in der Wohnung hingen. Zweifellos war sie sehr begabt gewesen. Und das wenige, was Theo von ihr erzählt hatte, beeindruckte sie. Offenbar eine Art Wonderwoman. In Theos Bücherregal stand ein Foto, das an irgendeinem Strand aufgenommen worden war. Sie hielt sich mit einer Hand das blonde Haar aus der Stirn, das der Wind ihr ins Gesicht blies. Sie lachte in die Kamera. Bildschön. Und gertenschlank. Wahrscheinlich hat sie sich nur von Sojabohnenkeimlingen ernährt, dachte Hanna grimmig. Die Information, dass Nadeshda wie ein Bauarbeiter gefuttert hatte, hätte sie in diesem Moment kaum aufgemuntert.
Stöhnend schlurfte sie ins Bad, um sich weitere Drogen zu verabreichen. Aufputschtabletten, Aspirin, homöopathische Zuckerkugeln, alles wild durcheinander. Egal. Hanna war fast nie krank, aber wenn doch, dann schluckte sie alles, was ihr in die Quere kam. Sie hasste es, krank zu sein. Ihr Spiegelbild sagte ihr auch, warum. Einfach gruselig. In so ein Schnupfenwrack würde sich garantiert niemand verlieben. Weder Theo noch sonst jemand. Sie warf drei Antigrippepillen ein und sprengte damit die Tageshöchstdosis schon nachmittags um halb vier um hundert Prozent. Dann schlurfte sie zurück auf ihre Couch. Kaum dort angekommen, klingelte das Telefon erneut. Abtauchen hilft nicht, dachte sie. Entschlossen griff sie zum Hörer.
»Hallo?«, giftete es ihr entgegen. »Steiner hier. Ilse Steiner.«
Mein Gott. Das mörderische Schaf, dachte Hanna benebelt.
Ilse Steiner hatte noch lange über Hannas Besuch nachgegrübelt. Kaum, dass diese aus der Tür war, hatte sie sich geärgert, dass sie die seltene Gelegenheit, mit jemandem ihr Spielchen treiben zu können, nicht länger ausgekostet hatte. Immerhin hatte sie das Bild dieses Mannes und Hannas
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