Das letzte Geleit: Kriminalroman (German Edition)
Designklassiker aus dem Jahr 1960. Sie trug eine streng geschnittene, cremefarbene Seidenbluse zu rehbraunen feinen Cordhosen. Die Haare waren weiß, schulterlang und schick frisiert. Von Alter-Damen-Dauerwelle oder violetter Haartönung keine Spur. An ihrem Finger blinkte ein einziger, allerdings gewaltiger Ring. Theo wusste, dass sie Architektin war. Fast vierzig Jahre lang hatten sie und ihr Mann ein renommiertes Architekturbüro in der Innenstadt betrieben.
»Wissen Sie, Karl-Heinz war ja schon lange nicht mehr in Form. Er hat sich das letzte halbe Jahr sehr gequält«, berichtete sie. Sie nahm eine Zigarette aus einem Silberetui und bot Theo ebenfalls eine an. Als er den Kopf schüttelte, zündete sie sich die Zigarette mit einer sehr eleganten Bewegung an und lehnte sich dann entspannt zurück. Wie sie dort mit damenhaft übergeschlagenem Bein saß, erinnerte sie Theo an die attraktiv gealterte Lauren Bacall.
»Wie ist er gestorben?«, wollte Theo wissen.
»Lungenkrebs«, sagte sie und blickte dem Rauch ihrer Zigarette nach. »Ich sollte vielleicht aufhören.« Sie lächelte traurig.
»Meine Mitarbeiterin hat gesagt, Sie hätten einen besonderen Wunsch bezüglich der Beerdigung.«
Sie nickte. »Napoleon«, sagte sie, »es geht um Napoleon.« Sie wies vage zum Schreibtisch hinüber, unter dem die grau melierte Nase eines Rauhaardackels hervorragte. »Mit Napoleon geht es auch zu Ende.« Sie seufzte. »Eigentlich hätten wir ihn schon vor Monaten einschläfern lassen sollen. Aber mein Mann hat so an dem Tier gehangen. Ich wollte nicht, dass er das noch miterleben muss.«
Theo schwante, was nun kommen würde.
»Ich möchte Napoleon gemeinsam mit seinem Herrchen beerdigen.« Sie sah ihm fest in die Augen. Für einen Menschen ihres Alters war die Iris ungewöhnlich klar. »Ich weiß, es ist im Grunde albern, aber …«
Verschwörerisch beugte sich Theo zu ihr. »Wenn Sie mir versprechen, keinem davon zu erzählen, dann lässt sich das vielleicht regeln …«
Napoleon war nicht das erste Haustier, das Theo gemeinsam mit Herrchen oder Frauchen unter die Erde gebracht hatte. Natürlich machte er sich damit strafbar. Möglicherweise konnte es ihn sogar seine Zulassung kosten. Anderseits war ihm der letzte Wunsch eines Verstorbenen heilig. Und wenn die Hinterbliebenen Trost bei dem Gedanken fanden, dass der Verschiedene nicht ganz allein in seinem Sarg lag, dann konnte er das gut verstehen.
Und so brachte ihm die elegante Frau Petersen am nächsten Tag mit Verschwörermiene ein kleines Bündel, das sie in eine weiche Fleecedecke gehüllt hatte.
»Napoleons Lieblingsdecke«, flüsterte sie. Als sie gegangen war, bettete Theo das Bündel zu Füßen von Karl-Heinz Petersen in den Sarg. Er legte das Köpfchen des Hundes frei. Das Bild, das sich ihm bot, zeigte ein etwas makabres Todesidyll. Ein Memento mori aus Fleisch und Blut. Letztlich hatte der Hund mehr Glück gehabt als sein Herrchen, fand Theo. Er hatte sich jedenfalls nicht bis zum letzten Atemzug quälen müssen. Hunde durfte man einschläfern, Menschen hatten nicht dieses Privileg. Sofort fielen ihm wieder die grausigen Vorgänge in Stift Eichenhof und die Taten anderer Naziärzte ein, die die dunkelste Seite dessen offenbart hatten, was Euthanasie bedeutete. Dass ein anderer entscheidet, wann das Leben eines Menschen nicht mehr lebenswert war, lehnte er strikt ab. Andererseits erhoffte er sich für sich selbst die Option eines Schlussstrichs auf Wunsch. Ein schwieriger ethischer Konflikt, mit dem sich viele Ärzte auseinandersetzen mussten, weil ihre Menschlichkeit mit der Gesetzgebung kollidierte. Tötung auf Verlangen war nicht gestattet.
Er selbst hatte als Chirurg wenig Kontakt gehabt zu dahinsiechenden Patienten. Er hatte diejenigen operiert, für die es noch Hoffnung gab. Die Kollegen aus der Intensiv- und Palliativmedizin hatte er bewundert, aber sicher nicht beneidet. Er wusste, dass einige von ihnen in Härtefällen eingegriffen hatten. Die Morphiumdosis ein klein wenig heraufgeschraubt, auf dass sich dem Patienten ein gnädiger Tod eröffnete. Sein Kollege Bernhard hatte es einmal so erklärt: »Ich bin ein Feigling. Ich erhöhe die Dosis nur so weit, dass der Absprung möglich wird. Dann entscheidet das Schicksal, ob der Patient überlebt, oder Gott. Oder, und das scheint mir am wahrscheinlichsten, der Patient selbst wählt, ob er weitermacht oder stirbt.«
Theo konnte gut verstehen, dass der Kollege davor zurückschreckte, Herr über
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