Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
einen Seite und zu Billigangeboten auf der anderen Seite.
Auch wir Bestatter sehen uns, wie andere Dienstleistungsbranchen, einem veränderten Entscheidungsverhalten unserer »Kunden« gegenüber. Das Preisbewusstsein steigt, Vergleiche und Verhandlungen sind keine Seltenheit. Die Zahl der Menschen, die sich nicht mehr mit christlichen Werten und Normen identifizieren, wächst, und viele traditionelle Bestattungs- und Gedenkformen verlieren dadurch an Bedeutung.
Wenn heute immer häufiger das günstigste Angebot den Vorzug erhält, dann spiegelt sich darin auch der Bedeutungsverlust der Bestattung als soziales Ereignis. Viele Menschen halten eine aufwändige und kostspielige Beerdigung für nicht mehr notwendig. Erdbestattungen mit Kosten zwischen 2 200 und 6 000 Euro sind immer weniger beliebt. Ihr Anteil sank von 70 Prozent im Jahr 1994 auf 50 Prozent im Jahr 2007, und der Trend hält an.
Auch die Marktsituation hat sich stark gewandelt. Im Jahr 1980 teilten sich gerade einmal 2 200 Betriebe den deutschen Markt – heute sind es mehr als doppelt so viele, nämlich 4 500. Fast alle sind Familienunternehmen. Da der Bedarf bei rund 800 000 Sterbefällen pro Jahr in etwa gleichbleibend ist, besteht ein Verdrängungswettbewerb. Nach dem Fall der Mauer sind viele Betriebe aus dem Osten und Osteuropa dazugekommen.
Inzwischen haben Gesetzesänderungen manches ermöglicht, was zuvor undenkbar war. So sind seit 2002 in manchen Bundesländern private Krematorien erlaubt. Etwa ein Drittel der deutschen Krematorien befindet sich inzwischen in privater Hand.
Nach wie vor erwirtschaftet die Branche zwar Gewinn, doch der Jahresumsatz pro Bestattungsunternehmen ist seit den 1990er Jahren um rund ein Viertel gesunken. Am stärksten davon betroffen sind wenig spezialisierte Institute in den Großstädten.
Friedhofszwang versus Vielfalt
Auch auf den Friedhöfen ist der Wandel der Bestattungskultur deutlich ablesbar. Viele städtische Friedhöfe kämpfen mit »Überhangflächen«. Sie unterliegen im Gegensatz zu Bestattern strikten Reglementierungen, die bis heute eine Differenzierung weitgehend verhindern. Friedhöfe können in ihrer Trägerschaft in zwei Gruppen unterteilt werden: städtische oder kommunale Friedhöfe und Friedhöfe, die von einer lokalen Glaubensgemeinschaft betrieben werden. Einen Wettbewerb zwischen den einzelnen Einrichtungen gibt es praktisch nicht, und sie sind auf den ersten Blick auch kaum voneinander zu unterscheiden.
In Deutschland müssen Verstorbene per Gesetz auf Friedhöfen beigesetzt werden. Einzige Ausnahme war lange Zeit die Seebestattung. Erst langsam weichen die Regeln ein wenig auf: So gibt es inzwischen Kolumbarien – Urnenwände – bei Bestattern. Wer sich den strengen Regeln nicht unterwerfen will, schließt sich dem zunehmenden Trend zum Beerdigungstourismus in Nachbarländer an. Schätzungen gehen davon aus, dass dies bis zu 30 000 Verstorbene im Jahr betrifft: Ihre Asche wird etwa in der Schweiz oder in den Nierderlanden verstreut oder in Urnen gefüllt, die die Angehörigen schließlich mitnehmen dürfen.
Eine Liberalisierung beziehungsweise ein Ende des Friedhofszwangs wäre eine Voraussetzung, um mehr Vielfalt entstehen zu lassen. Eine individuelle Gestaltung von Gräbern abseits bestehender Normen oder die Anlage von Friedhöfen an alternativen Standorten könnte bewirken, dass die Toten und das Gedenken an sie stärker als bisher in die Städte und Gemeinden integriert werden.
Die Toten haben ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft verloren. Trauernde fühlen sich oftmals allein gelassen – von den Verstorbenen, von ihren Freunden und nicht zuletzt von denen, die eigentlich von Berufs wegen dafür zuständig wären, den Trauernden helfend zur Seite zu stehen: den Bestattern, die sich der Vielfalt ihrer möglichen Aufgaben oft noch nicht bewusst sind.
Die TrauerOase
Unsere Aufgabe als Bestatter ist es, der Trauer eine Heimat zu geben. Ausgehend von unserer Überzeugung, dass Trauerarbeit wichtig ist, für den Einzelnen wie für unsere Gesellschaft, haben wir eine besondere Verantwortung. Es gilt, den Angehörigen und ihren Toten mit Respekt und Würde zu begegnen.
Trauer ist wie ein einsamer Marsch durch die Wüste – eine lange Durststrecke, die zu überwinden viel Kraft und Mühe kostet. Bestatter sollten als Trauerbegleiter den Hinterbliebenen auf diesem Weg zur Seite stehen und Orte in der Wüste schaffen, an denen der Trauernde verweilen, ausruhen und sich
Weitere Kostenlose Bücher