Das letzte Hemd
Waldniel,
auf halber Strecke an der Straße lag. Sie schwärmte von dem schönen Garten, dem
großen Gastraum und der Galerie im ersten Stock. Philipp konnte man ansehen,
dass er wohl schon ahnte, was jetzt kam, und tatsächlich schlug Ann-Britt ihm
mit der flachen Hand auf den Unterarm und meinte: »Was hältst du davon, wenn
wir noch einmal umplanen und den Hochzeitskaffee da ausrichten? Der Platz
dürfte eigentlich reichen. Das müsste man natürlich alles ausrechnen – wie
viele Leute waren wir noch beim letzten Durchzählen?«
Rosenmair musste sich zurückhalten, ein zynisches »Also, beim
letzten Durchzählen wart ihr noch zu zweit« einzuwerfen, doch Philipp Lindner
schien den Vorschlag ernsthaft abzuwägen, so konzentriert wirkte er in diesem
Moment. Vielleicht litt er aber auch nur unter Sodbrennen nach der Schlagsahne.
Und so zu tun, als würde er jemandes Vorschlag ernst nehmen, gehörte
schließlich zur Grundausstattung seines Instrumentariums als Politiker.
Als er genügend nachgedacht hatte, hob er wie bedauernd die Hände
und blickte Ann-Britt treuherzig an. »Das ist theoretisch möglich, aber es wird
logistisch einfach zu umständlich. Mein Vater hat doch schon den großen Saal im
›Luisenhof‹ gebucht, und es wäre ein irrer Umweg, wenn wir von der Kirche erst
nach Elmpt und dann zum Abendessen wieder zurück nach Düsseldorf müssten.«
Rosenmair merkte ihm deutlich die Erleichterung darüber an, dass er auf diesen
Einwand gekommen war, der so völlig einsehbar sein musste, doch Ann-Britt
wirkte verärgert. Offensichtlich war die Einmischung ihres Schwiegervaters in
die Hochzeit schon länger ein Streitpunkt zwischen den beiden.
»Den Saal könnte man sicher auch kurzfristig wieder abbestellen.«
Unschuldig lächelnd wandte sie sich an ihren Vater. »Du hast doch dieses tolle
Restaurant, in das du immer gehst, von diesem J.P. ,
da wolltest du mich ja überhaupt schon lange mal mit hinnehmen …«
Rosenmair war so verdutzt, dass er den Wasserkocher, mit dem er
gerade Wasser in den Porzellanfilter hatte gießen wollen, wieder zurück auf die
Station stellte. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern,
Ann-Britt versprochen zu haben, sie mit zu J.P. in die »Pulvermühle« zu nehmen. Eigentlich sollten so wenige Menschen wie
möglich von der Existenz dieses Zufluchtsortes erfahren, so sah es dessen
Besitzer ja schließlich auch. Doch Ann-Britt war jetzt nicht mehr zu bremsen.
»Ich hab noch eine viel tollere Idee – warum heiraten wir nicht einfach hier?«
Rosenmair hatte gerade wieder den Wasserkocher in die Hand nehmen
wollen, stoppte aber in der Bewegung und drehte sich schwungvoll um. »Wie,
hier? In meiner Küche?«
Ann-Britt strahlte übers ganze Gesicht. »Quatsch. Nein, hier in
Waldniel. Wir sind eben an dem Platz vor der Kirche vorbeigefahren, das ist
total schön da, richtig niedlich. Ich sehe schon alles vor mir: Drinnen ist die
Hochzeit, draußen gibt es für alle Sekt, wir organisieren einen Shuttle zum
Café und später zum Restaurant. Und Hotels gibt’s doch hier in der Gegend
sicher auch, oder?« Sie sah Rosenmair so erwartungsvoll an, als sollte er
gleich noch anbieten, doch die gesamte Hochzeitsbagage der Einfachheit halber
bei ihm unterzubringen.
Philipp schien gar nicht zugehört zu haben, er tippte geschäftig auf
seinem Blackberry herum. Rosenmair hingegen war wie in Schockstarre. Sein
erster Gedanke war, spontan aus Waldniel wegzuziehen, am besten gleich wieder
in die USA , warum nicht? Da kannte er genügend
Leute, die ihm zwar die Rückkehr nach Deutschland sehr leicht gemacht hatten,
die ihn aber wenigstens nicht zu schlimmen Hochzeitsfeiern einluden. Oder er
konnte einen Urlaub vorschützen. Wann sollte diese vermaledeite Hochzeit noch
mal sein? Er wusste es nicht mehr. Wenn er nur sagen könnte, er habe schon
etwas gebucht, was er auf gar keinen Fall oder nur mit immensen Kosten
stornieren könne. Er versuchte krampfhaft, sich an das Datum zu erinnern und
ein Urlaubsziel zu ersinnen, das teuer genug war und dennoch plausibel klang –
Dubai, Abu Dhabi, Nord-Norwegen –, als er plötzlich von gänzlich unerwarteter
Seite Hilfe bekam.
***
Kriminalhauptkommissar Becker saß in seinem Hobbykeller und
sortierte Schrauben nach Länge, Typ und Verschleißgrad. Im Hintergrund lief das
Radio, die Bundesligakonferenz auf WDR 2,
wie jedes Wochenende. Ihm war das die liebste Zeit in der Woche, und das nicht
nur als Borussia-Fan, der er nun mal war, egal,
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