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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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Bilder, auf denen man ein neugeborenes Zicklein von der Größe
eines Huhns auf dem Arm hatte, immer gut an, und Philipp hatte diese ganze
Chose auch brav mitgemacht, schließlich war er ja noch in der zweiten Reihe,
karrierepolitisch gesehen. Aber er war jemand, der zappelnde Ziegen oder
quiekende Ferkel dem Besitzer ganz schnell wieder in die Hand drückte, sobald
das Foto im Kasten war. Und dann kurz mal zur Seite trat, um seine teuren
Schuhe aus Nappaleder mit dem Stofftaschentuch abzuwischen, das er immer
dabeihatte. Und sich gleich darauf vom Acker machte, im wahrsten Sinne des
Wortes.
    ***
    Becker hatte den Stift wieder sinken lassen. Bislang konnte er
mit Rosenmairs Tipps für seinen Urlaub in den USA herzlich wenig anfangen. Denn Rosenmair war schon beim Hinflug das erste Mal
hängen geblieben und hatte sich in aller Breite über die Unzulänglichkeiten der
»Stewardessen«, wie er sie beharrlich nannte, ausgelassen, obwohl sogar jemand
wie der nicht wirklich weit gereiste Becker wusste, dass man diesen Berufszweig
heute als »Flugbegleiter« bezeichnete. Rosenmair hatte auf seinen vorsichtigen
Einwand nur spöttisch etwas von »Unfugbereiter« gemurmelt und seinen Bericht
fortgesetzt. Wirklich schlau war Becker aus den Erzählungen nicht geworden: Aus
Boston, der Großstadt an der Ostküste, fand man laut Rosenmairs Schilderungen
nie wieder hinaus, da wirklich jeder dieser »kreuzdämlichen Highways« wieder
zurück in die Stadt führte. Nach San Francisco, in die
Hippie-Flower-Power-Metropole an der Westküste, kam man dagegen nicht hinein.
Den Grund hatte Rosenmair noch nicht verraten oder Becker nicht verstanden.
Ohnedies schickte Rosenmair fast jeder Bemerkung ein »Ich weiß ja nicht, wie
das heute ist« voraus. Und Becker hatte auch insgesamt den Eindruck, dass
Rosenmair nicht wirklich gewillt war, irgendwelche Geheimnisse aus seiner Zeit
in den USA preiszugeben. Da war er fast froh,
dass plötzlich die Türklingel ging.
    ***
    Ann-Britt war ein bisschen aufgeregt. Nach dem rasanten Abbiegen
von der Autobahn hatte sie sich kurz übergeben müssen, allerdings wohl nicht
nur deswegen. Schließlich war Philipp noch nie bei ihrem Vater zu Besuch
gewesen. Rosenmair hatte bislang wenig Interesse an seinem zukünftigen
Schwiegersohn gezeigt, doch das überraschte Ann-Britt nicht. Inzwischen kannte
sie ihren Vater ganz gut. Aber eben nicht gut genug, um einschätzen zu können,
wie er jetzt reagieren würde.
    Sie wollte ihn heute fragen, ob er sie bei der kirchlichen Trauung
zum Altar geleiten und ihrem Bräutigam übergeben würde. Davon hatte Ann-Britt
geträumt, seit sie als kleines Mädchen mit einem Kleid ihrer Mutter und einem
Kopfkissenbezug als Schleier auf dem Kopf Traumhochzeit in ihrem Kinderzimmer
gespielt hatte. Und obwohl sie nicht sehr religiös war, gehörte eine kirchliche
Trauung mit auf der Kirchenorgel gespieltem Hochzeitsmarsch, Tränen vor dem
Altar und Reis vor der Kirche einfach zum Heiraten dazu.
    Jetzt standen sie vor Rosenmairs Haustür, die Tochter, die in der
Vergangenheit nur wenig Kontakt zu ihrem leiblichen Vater gehabt hatte, und ihr
Auserwählter, der sich gerade noch einmal zu dem vor der Tür geparkten zehn
Jahre alten Porsche umdrehte. Philipp Lindner war jemand, dem ein Kratzer in
seinem Autolack mehr Verdruss bescheren konnte als ein Bein- oder Armbruch.
Wenn er ehrlich war, würde es nicht mal was ändern, wenn Ann-Britt, seine Eltern
oder sein Bruder sich ein Bein brechen würden, aber das würde er natürlich
niemals zugeben. Jedenfalls parkte er seinen Wagen vorzugsweise in bewachten
Tiefgaragen oder seiner eigenen, natürlich beheizten Garage und nur äußerst
ungern im Freien und unbewacht. Er war auch jemand, der in sozial unsicheren
Gegenden den dort herumlungernden Jugendlichen einen Geldschein zustecken
würde, damit sie auf seinen Wagen achtgaben und ihn nicht etwa klauten oder
demolierten.
    Nicht dass Philipp Lindner jemals in solchen Gegenden parken oder
auch nur dorthin fahren würde.
    Als es darum gegangen war, ob er im Landwirtschafts- oder im
Sozialministerium anfangen sollte, hatte er sich sofort für die Landwirtschaft
entschieden, obwohl das eigentlich überhaupt nicht sein Ding war und man in
Sozialfragen viel schneller in die Öffentlichkeit kommen konnte. Aber sich vor
nervigen Kindern und sozial benachteiligten oder irgendwelchen anderen
Gestalten zeigen und dabei auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen zu
müssen, war seine Sache noch viel

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