Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
Vom Netzwerk:
kleines
bisschen auf diese Schimpftiraden, das rückte ihre manchmal allzu positive
Weltsicht zurecht.
    Es half nichts, die scheußliche Einladung war immer noch da, und
Rosenmair war geladen, gleich im doppelten Sinn. Er griff nach dem Telefon und
drehte dabei ganz bewusst das Foto des Brautpaars um. Die Rückseite war fraglos
attraktiver. Er begann, Marlenes Nummer in den Apparat zu tippen, und spielte
dabei mit dem Spiralkabel des Telefonhörers. Nach etlichen Versuchen mit
schnurlosen Telefonen, deren Akkus entweder zu schnell den Geist aufgaben oder
andere Macken wie unerklärliche akustische Aussetzer beim Telefonieren
entwickelten, hatte er sich schließlich wieder für ein ganz herkömmliches
Telefon mit Tasten, Schnur und wenig Schnickschnack entschieden. Es hätte auch
durchaus ein Modell mit Wählscheibe werden können. Denn Telefonnummern von
computergestützten Hotlines, bei denen man durch das Drücken von Tasten einem
entsprechenden Menü folgen sollte, wählte er grundsätzlich nicht an oder legte
gleich wieder auf, wenn er durch Zufall in solch eine Falle getappt war. Wer
nicht in der Lage war, ihm am Telefon Auskunft zu geben oder anderweitig zur
Verfügung zu stehen, war es auch nicht wert, angerufen zu werden. Angesichts
ellenlanger Telefonnummern, gerade wenn Marlene mal wieder irgendwo in der Welt
in einem Hotelzimmer saß, wäre ihm das ewige Gewähle und Gedrehe auf Dauer aber
wohl doch zu anstrengend geworden. Jetzt wählte er allerdings der Einfachheit
halber ihre Mobilnummer.
    Am anderen Ende der Leitung klingelte es. Rosenmair stellte sich
vor, wie Marlene vielleicht gerade auf irgendeinem Hotelbett in irgendeiner
Hotelsuite saß. Wie spät war es dort überhaupt, wo sie war? Und wo war das
eigentlich, wo sie war?
    Rosenmair lehnte sich ächzend mit dem Stuhl Richtung Kühlschrank und
versuchte, den per Magnet angebrachten Zettel von Weitem zu entziffern.
Normalerweise schrieb Marlene ihm immer auf, wo sie wann war, zumindest
ungefähr. Viele Termine ergaben sich in der Branche, in der sie arbeitete,
anscheinend sehr kurzfristig. Rosenmair konnte sich einfach nicht merken, was
das für eine Firma war, und er wollte es auch gar nicht. Es könnte ein
Rüstungskonzern sein oder Greenpeace. Obwohl: Für Greenpeace waren die Hotels
eindeutig zu teuer. Wenn andere Leute ihn fragten, was Marlene beruflich
machte, nuschelte er immer irgendwas von »Finanzen«, »Strategien« und
»Management«, und er war auch sicher, dass er da zumindest teilweise richtiglag.
Marlene hatte es längst aufgegeben, ihm ihren Job zu erklären, und meldete sich
gern mal mit Phantasiefirmennamen, wenn sie seine Nummer erkannte, inzwischen
ein running gag zwischen den beiden.
    Jetzt schien sie sich gar nicht melden zu wollen, doch gerade als
Rosenmair auflegen wollte, hörte er ein Klacken, Restaurantgeräusche und ein
unterdrücktes Kichern.
    »Marlene, bist du das?« Rosenmair war immer ungehalten, wenn Leute
sich nicht korrekt mit ihrem Namen meldeten, sondern mit »Hallo?«, »Ja, hallo?«
oder einfach nur mit »Ja?«. Das war zumindest insofern bemerkenswert, als der
Richter in punkto Telefonetikette der heutigen Mobiltelefonbenutzer ansonsten
jede, aber auch wirklich jede Illusion verloren hatte. Obwohl oft er es war,
der einfach grußlos auflegte.
    Marlene war anscheinend aus dem Raum gegangen, denn jetzt war es
ruhiger am Telefon. Sie klang ein bisschen beschwipst. »Max, bist du da? Tut
mir leid, ich hab dich eben nicht gehört.«
    Rosenmair antwortete schärfer, als er es eigentlich beabsichtigt
hatte. »Ja, ich bin hier, aber ich weiß nicht, wo du gerade bist und was du machst …«
    Marlene jedoch ging gar nicht darauf ein, sondern wischte seine
kleine Eifersüchtelei einfach weg. »Ich bin mit alten Freundinnen in einem sehr
netten Lokal in München, wir haben unser Wiedersehen gerade schon mal mit einem
Glas Prosecco gefeiert, und mir geht’s ganz her-vor-ra-gend.« Sie betonte jede
Silbe und kicherte wieder. »Was gibt’s denn?«
    »Eine Hochzeit.«
    »Max, du heiratest wieder? Das hättest du mir aber früher erzählen
können. Wer ist denn die Glückliche, kenn ich sie? Und wieso erfahre ich erst
jetzt davon?« Man hörte ein Geräusch, als stellte jemand ein Glas auf einem
Tisch ab.
    Rosenmair war perplex – diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Er
überlegte, ob er gleich lospoltern oder erst noch abwarten sollte. Er entschied
sich für Letzteres. Er wusste, dass Marlene ihn mal wieder auf den

Weitere Kostenlose Bücher