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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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einen goldenen Ring, der einen tadellos ovalen Bluterguss hinterließ.
    Auch das hatte er gelernt.
    Johnny zog ein T-Shirt und ausgefranste Jeans an, ging zu seiner Zimmertür und öffnete sie einen Spalt breit. Licht fiel in den schmalen Korridor, und die Luft war verbraucht. Es roch nach Zigaretten und verschüttetem Alkohol, wahrscheinlich Bourbon. Einen Augenblick lang erinnerte Johnny sich daran, wie es früher am Morgen gerochen hatte: nach Eiern und Kaffee und dem herben Duft vom Rasierwasser seines Vaters. Es war eine gute Erinnerung, und deshalb schob er sie weg und erstickte sie. Davon wurde alles nur noch schwerer.
    Der Flor des Plüschteppichs in der Diele war steif unter seinen Zehen. Die Tür zum Zimmer seiner Mutter hing lose im Rahmen.
    Es war eine Wabentür, nicht angestrichen, und sie passte nicht.
    Die Originaltür lag zersplittert im Garten, war vor einem Monat aus den Angeln getreten worden, als Ken und Johnnys Mutter spätabends aneinandergeraten waren. Sie hatte nie gesagt, weshalb sie sich gestritten hatten, aber Johnny vermutete, dass es um ihn gegangen war. Vor einem Jahr hätte Ken nicht einmal in die Nähe einer Frau wie sie kommen können, und Johnny ließ es ihn nie vergessen. Aber das war ein Jahr her. Ein ganzes Leben.
    Sie hatten Ken schon seit Jahren gekannt. Das dachten sie zumindest. Johnnys Dad war Bauunternehmer, und Ken baute ganze Wohnviertel. Sie arbeiteten gut zusammen, weil Johnnys Dad schnell und tüchtig war, und weil Ken klug genug war, ihn zu respektieren. Deshalb war Ken immer freundlich und aufmerksam gewesen, auch nach der Entführung, bis zu dem Augenblick, als Johnnys Dad entschied, dass Schmerz und Schuldgefühle unerträglich wurden. Aber mit Dads Weggang war auch Kens Respekt verschwunden, und er kam immer öfter vorbei. Jetzt war er der Herr im Haus. Er isolierte Johnnys Mutter und hielt sie in Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten. Er sagte ihr, was sie tun sollte, und sie tat es. Brate ein Steak. Geh ins Schlafzimmer. Schließ die Tür ab.
    Johnny nahm es mit seinen schwarzen Augen auf, und oft fand er sich unversehens nachts in der Küche wieder, legte drei Finger auf das große Messer im Holzblock, sah die weiche Mulde über Kens Brust vor sich und dachte darüber nach.
    Der Mann war ein Raubtier, schlicht und einfach, und Johnnys Mutter war zu einem Nichts verblichen. Sie wog noch knappe fünfundvierzig Kilo und sah abgespannt wie eine Bettlägerige aus, doch Johnny entging nicht, wie die Männer sie anschauten und wie besitzergreifend Ken wurde, wenn sie das Haus einmal verließ. Ihre Haut war blass, aber makellos, und ihre Augen waren groß und tief und verwundet. Sie war dreiunddreißig und sah aus, wie ein Engel aussähe, wenn es ihn gäbe: dunkelhaarig, zerbrechlich, überirdisch. Wenn sie einen Raum betrat, hörten die Männer auf mit dem, was sie gerade taten. Sie starrten sie an, als ginge ein Leuchten von ihr aus, als könnte sie jeden Moment vom Boden abheben.
    Ihr war das völlig gleichgültig. Schon bevor ihre Tochter verschwunden war, hatte sie kaum auf ihr Äußeres geachtet. Bluejeans und T-Shirts. Pferdeschwanz und gelegentlich ein bisschen Make-up. Sie hatte in einer kleinen, perfekten Welt gelebt, in der sie ihren Mann und ihre Kinder geliebt hatte. Sie hatte ihren Garten gepflegt, Freiwilligendienste in der Kirche geleistet und an Regentagen vor sich hin gesungen. Doch damit war es vorbei. Jetzt war da nur noch Stille und Leere und Schmerz, nur noch ein Schatten der Person, die sie einmal gewesen war. Aber die Schönheit war geblieben. Johnny sah sie jeden Tag, und jeden Tag verfluchte er die Vollkommenheit, mit der sie so umfassend gesegnet war. Wenn sie hässlich gewesen wäre, hätte Ken keine Verwendung für sie gehabt. Wenn sie hässliche Kinder bekommen hätte, würde seine Schwester immer noch im Nebenzimmer schlafen. Doch sie war wie eine Puppe, wie etwas halb Unwirkliches, das man in eine Vitrine einschließen sollte. Sie war der schönste Mensch, den Johnny je gekannt hatte, und das hasste er an ihr.
    Er hasste es.
    So sehr hatte sich sein Leben verändert.
    Johnny betrachtete die Tür zum Zimmer seiner Mutter. Vielleicht war Ken da drin, vielleicht auch nicht. Er drückte das Ohr an das Holz, und der Atem blieb ihm im Halse stecken. Normalerweise merkte er es, aber er hatte tagelang nicht schlafen können, und als der Schlaf endlich kam, kam er mit Macht. Schwarz und reglos. Tief. Und als er aufwachte, tat er es mit

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