Das letzte Koenigreich
Dunholm, wo sich Ragnar bei Aldermann Riesig bedankte, den allerdings die Rache der Dänen tief bestürzte. «Es haben doch nicht alle Mönche und Nonnen an dem Aufstand teilgenommen», sagte er vorwurfsvoll.
«Sie sind alle schlecht», erwiderte Ragnar.
«Ihre Häuser sind Orte des Gebetes, der Besinnung und der Bildung.»
«Erklär mir, wozu Gebete, Besinnung und Bildung nütze sind», verlangte Ragnar ungehalten. «Lassen Gebete den Roggen wachsen? Füllt Besinnung ein Fischernetz? Kann Bildung ein Haus bauen oder ein Feld pflügen?»
Auf diese Fragen hatte Riesig keine Antwort, ebenso wenig wie der Bischof von Dunholm, ein zaghafter Mann, der sich mit einem Kommentar über das Gemetzel vorsichtig zurückhielt und auch kein Wort dazu sagte, dass Riesig die Gefangenen auslieferte, die sofort auf brutale Weise getötet wurden. Ragnar war davon überzeugt, dass in den Klöstern und Ordensstiften finstere Riten gepflegt wurden, um das Volk gegen die Dänen aufzuhetzen, und er sah keinen Grund, diese Orte zu erhalten. Das bei weitem berühmteste Kloster aber war das auf Lindisfarena, das Haus, in dem der heilige Cuthbert gelebt hatte und das vor zwei Generationen zum ersten Mal von den Dänen geplündert worden war. Über den Angriff von damals wurde erzählt, dass Drachen am Himmel erschienen seien, Wirbelwinde über dem Meer getost und schwere Gewitterstürme auf den Hügeln gewütet hätten. Doch als wir nach Norden zogen, geschah nichts dergleichen.
Ich war aufgeregt, denn unser Weg führte nahe an Bebbanburg vorbei, und ich fragte mich, ob es mein Onkel, der falsche Aldermann A Elfric, wagen würde, seine Festung zu verlassen, um die Mönche von Lindisfarena zu schützen, die sich ihrerseits immer für die Sicherheit unserer Familie eingesetzt hatten. Wir alle - drei Schiffsmannschaften, also über hundert Mann - ritten zu Pferde, denn es war spät im Jahr, und die Dänen setzten ihre Schiffe nicht gern schlechtem Wetter aus. Wir machten einen Bogen um Bebbanburg, doch als wir über die Hügel ritten, erhaschte ich manchmal zwischen den Bäumen einen Blick auf das hölzerne Bollwerk der Festung. Mein Blick war gebannt, ich sah die raue See, ich träumte.
Wir überquerten das flache Küstenland und gelangten an einen Sandstrand, von dem ein Pfad nach Lindisfarena hinausführte, der bei unserer Ankunft jedoch von der Flut überspült war. Am gegenüberliegenden Inselufer waren Mönche zu sehen, die uns beobachteten. «Die restlichen Bastarde verscharren ihre Schätze», sagte Ragnar.
«Falls sie noch welche haben», sagte ich.
«Sie haben immer noch was.»
«Als ich das letzte Mal hier war», berichtete Ravn, «haben wir einen Kasten voller Gold gefunden. Pures Gold.»
«Ein großer Kasten?», fragte Brida. Sie saß hinter Ravn. auf dem Pferd und diente an diesem Tag als sein Auge. Sie sprach inzwischen fließend Dänisch und durfte uns immer begleiten, weil sie uns, wie die Männer meinten, Glück brachte.
«So groß wie dein Brustkasten», antwortete Ravn.
«Also war's nur wenig», sagte Brida enttäuscht.
«Gold und Silber», erinnerte sich Ravn. «Und Stoßzähne von Walrossen. Woher sie die wohl hatten?»
Das Wasser ging zurück und floss in mäandernden Strömen ab. Dazwischen wurden weiße Markierungspflöcke sichtbar. Als wir uns in Bewegung setzten, flohen die Mönche am Ufer. Rauchfahnen zeigten uns, wo die Gehöfte auf der Insel lagen, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass auch ihre Bewohner ihre paar Habseligkeiten vergraben hatten.
«Könnte es sein, dass dich einer der Mönche kennt?», wollte Ragnar von mir wissen.
«Wahrscheinlich.»
«Stört dich das?»
Das tat es, aber ich sagte nein, berührte Thors Hammer, doch irgendwo in meinem Kopf rührte sich die Sorge, dass mich Gott, der Christengott, beobachtete. Beocca hatte immer behauptet, dass über all unsere Taten Buch geführt werde. Aber dann erinnerte ich mich, dass der Christengott versagt und Thor, Odin und all die anderen dänischen Götter den Krieg im Himmel für sich entschieden hatten. Edmunds Tod war der Beweis, also tröstete ich mich und wähnte mich auf der sicheren Seite.
Das Kloster lag im Süden der Insel, an einer Stelle, von der man die Bebbanburg auf ihrem Felsen thronen sah. Die Mönche lebten in kleinen Holzhütten, die um die Kirche herumgebaut und mit Stroh oder Moos gedeckt waren. Der Abt, ein Mann namens Egfrith, kam uns mit einem großen Holzkreuz entgegen. Er sprach Dänisch, was ungewöhnlich
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