Das letzte Koenigreich
hatte.
«Er ist nie unser Gott gewesen», erklärte sie. «Wir haben Wotan, Thor, Eostre und all die anderen Götter und Göttinnen verehrt, sie aber vergessen, als die Christen kamen. Die Dänen haben sie uns jetzt wieder in Erinnerung gebracht.»
«Hast du das von Ravn?»
«Ja, einiges», antwortete sie. «Den Rest habe ich selbst herausgefunden. Zwischen den Göttern herrscht Krieg, Uhtred, ein Krieg zwischen dem Christengott und unseren Göttern, und wenn im Asgard Krieg geführt wird, lassen die Götter uns auf der Erde um sie kämpfen.»
«Werden wir siegen?», fragte ich.
Zur Antwort zeigte sie auf die toten Mönche, die mit blutdurchtränkten Kutten im feuchten Gras lagen. Jetzt, da das Töten vorüber war, zerrte Ragnar Weland aus seinem Krankenbett. Der Mann rang, wie man deutlich sehen konnte, mit dem Tod. Er zitterte am ganzen Leib, und seine faulige Schulterwunde stank entsetzlich. Aber ihm war bewusst, was geschah. Sein Lohn für den Mord an mir, ein Beutel guter Silbermünzen vom Gewicht eines Neugeborenen, hatte unter seinem Bett gelegen. Er wurde dem Klosterschatz hinzugefügt und unter unseren Männern aufgeteilt.
Weland lag in dem blutigen Gras und sah zu mir und Ragnar auf. «Willst du ihn töten?», fragte mich Ragnar.
«Ja», antwortete ich, wie es von mir erwartet wurde, und ich dachte an den Tag, an dem ich Ragnar vor dieser Küste über die Ruderschäfte hatte tanzen sehen und wie er am Morgen danach den Kopf meines Bruders zur Bebbanburg gebracht hatte. «Ich will ihm den Kopf abschlagen», sagte ich.
Weland versuchte zu sprechen, doch es war nur ein gutturales Krächzen vernehmbar. Er starrte auf Ragnars Schwert.
Ragnar gab es mir. «Die Klinge ist scharf genug», sagte er. «Aber es ist erstaunlich viel Kraft nötig. Mit einer Axt wäre es einfacher.»
Jetzt sah Weland mich an. Er klapperte mit den Zähnen und sein Körper zuckte. Ich hasste ihn. Er war mir vom ersten Augenblick an unheimlich gewesen, doch jetzt hasste ich ihn. Trotzdem widerstrebte es mir, ihn umzubringen, auch wenn er schon halb tot vor mir auf dem Boden lag. Es ist eine Sache, im Kampf zu töten und die tapfere Seele eines Mannes in die Totenhalle der Götter zu schicken, aber eine ganz andere, einem hilflosen Mann das Leben zu nehmen. Weland musste mein Zögern gespürt haben, denn er flehte um Gnade. «Ich werde Euch dienen», stammelte er.
«Lass den Bastard leiden», antwortete Ragnar für mich. «Schick ihn zur Totengöttin, aber kündige ihn durch sein Leiden an.»
Ich glaube nicht, dass er sehr gelitten hat. Er war bereits so geschwächt, dass ihm meine kümmerlichen Hiebe bald das Bewusstsein raubten, und auch so dauerte es lange, ihn zu töten. Ich hackte wie von Sinnen auf ihn ein. Es hat mich immer wieder überrascht, wie schwer es ist, einem anderen das Leben zu nehmen. Was in den Liedern der Skalden so einfach klingt, ist meist entsetzlich mühsam, denn wir sind zähe Wesen und klammern uns am Leben fest. Doch schließlich war Welands Schicksal besiegelt, und ich trennte ihm mit einer letzten Kraftanstrengung den Kopf ab. Sein Mund war aufgerissen und schmerzverzerrt, was mich ein wenig tröstete.
Ich wusste, dass mir Ragnar einen Gefallen nicht ausschlagen würde, und so bat ich ihn um ein paar weniger wertvolle Münzen aus dem Schatz. Damit ging ich in das Haus der Kopisten, die Texte abgeschrieben und mit kunstvollen Lettern ausgeschmückt hatten. Als Kind hatte ich, von Beocca begleitet, den Mönchen manchmal bei ihrer Arbeit zugeschaut und Schnipsel von Pergament mit den wunderschönen Farben, die sie verwendeten, bemalen dürfen.
Diese Farben wollte ich haben. Sie waren in Gefäßen, meist in Pulverform, manche auch mit Harz vermischt. Jetzt brauchte ich noch ein Stück Stoff, das ich in der Kirche fand, ein viereckiges Leintuch, mit dem die Weihgeräte abgedeckt gewesen waren. Zurück im Schreibsaal, zeichnete ich mit Holzkohle einen Wolfskopf auf das weiße Tuch und machte mich dann daran, die Umrisse mit Tinte auszumalen. Brida half mir dabei. Es zeigte sich, dass sie sehr viel geschickter war als ich. Sie färbte Augen und Zunge des Wolfes rot und betupfte die schwarze Tinte mit weißen und blauen Flecken, die einen Eindruck von Fell vermittelten. Als das Banner fertig war, befestigten wir es am Kreuz des toten Abtes. Ragnar durchstöberte die kleine klostereigene Sammlung heiliger Bücher und riss von den kostbarsten Exemplaren die mit Edelsteinen besetzten Metalldeckel ab.
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