Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
darüber, wer es gewesen sein könnte. Und darüber spekulieren sie, ohne mit der Wimper zu zucken.«
»Das kann aber mehr mit den Zeugen zu tun haben als mit dem Opfer. Viele von denen, die einen Mann wie Ziegler umschwirren, sehnen sich wahrscheinlich nach Aufmerksamkeit. Die wollen sich nur wichtig machen.«
Die Diva des Nationaltheaters stand jetzt zusammen mit einem jungen lockigen Schauspieler vor dem Kondolenzbuch.
»Darf man lesen, was die Leute in dieses Buch schreiben?« fragte Severin Heger.
»Meine Fresse, du bist ja vielleicht promifixiert. Reiß dich zusammen!«
»Wir könnten Hanne Wilhelmsen brauchen«, sagte Severin plötzlich und setzte sich gerade hin. »Das ist ein typischer Fall für sie.«
Billy T. legte das Besteck beiseite, ballte die Fäuste und schlug zu beiden Seiten des Tellers auf den Tisch.
»Sie ist nicht hier«, erwiderte er langsam und ohne Severin in die Augen zu blicken.»Und sie kommt auch nicht. Das ist ein Fall für dich, mich, Karianne, Karl und fünf oder sechs andere, wenn wir die brauchen sollten. Hanne Wilhelmsen dagegen brauchen wir nicht.«
»Na gut. Ich wollte nur nett sein.«
»Alles klar«, sagte Billy T. müde. »Die Spritze. Wißt ihr schon mehr darüber?«
»Nein. Sie lag dicht neben der Leiche, war aber wohl eben erst da gelandet. Sie braucht nicht unbedingt etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Oder hast du von der Gerichtsmedizin etwas anderes gehört?«
»Nein.«
Das Dessert war mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Innerhalb von dreißig Sekunden war es verzehrt. Billy T. winkte nach der Rechnung.
»Gehen wir«, sagte er und bezahlte bar. »Das ist kein Lokal für uns.«
Bei der Tür blieb er plötzlich stehen.
»Suzanne«, sagte er leise. »Suzanne, bist du das?«
Auch Severin Heger blieb stehen und musterte die Frau von Kopf bis Fuß. Sie war groß, schlank an der Grenze zur krankhaften Magerkeit und dramatisch in Schwarz und Blau gewandet. Ihr Gesicht war bleich und schmal, die Haare hatte sie sich aus der Stirn gestrichen. Sie schien Billy T. die Hand geben zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und nickte nur kurz.
»B.T.«, sagte sie ebenfalls leise. »Lange nicht gesehen.«
»Ja, ich … was machst … schön dich zu sehen.«
»Würden Sie bitte nach draußen gehen oder hereinkommen?« fragte lächelnd der Oberkellner, ein seltsam aussehender Mann mit viel zu großem Kopf. »So, wie Sie hier stehen, blockieren Sie die Tür.«
»Ich will rein«, sagte die Frau.
»Ich will raus«, sagte Billy T.
»Hallo«, sagte Severin Heger.
»Vielleicht sehen wir uns mal wieder«, sagte die Frau und verschwand im Lokal.
Der Dezemberabend war ungewöhnlich mild. Billy T. hob sein Gesicht zum schwarzen Himmel.
»Du siehst aus, als ob du einem Gespenst begegnet wärst«, sagte Severin Heger. »Einem, das dich B.T. nennen darf. Ha!«
Billy T. gab keine Antwort.
Er war vollauf damit beschäftigt, Haltung zu bewahren. Er hielt den Atem an, um nicht aufzukeuchen. Plötzlich rannte er los.
»Mach’s gut«, rief Severin. »Wir sehen uns morgen früh!«
Billy T. war schon zu weit weg, um ihn zu hören.
Keiner der beiden Polizisten achtete auf den jungen Mann, der durch das zur Sofienberggate gelegene Fenster ins Restaurant spähte. Er hielt sich die Hände wie Trichter hinter die Ohren und stand schon sehr lange dort.
Severin Heger ging in östlicher Richtung davon. Hätte er die Gegenrichtung eingeschlagen, dann hätte ein Impuls ihn vielleicht dazu gebracht, mit dem Jungen zu reden.
Auf jeden Fall hätte er dann dessen Gesicht gesehen.
Vernehmung des Sebastian Kvie, bearbeiteter Auszug.
Vernehmung durchgeführt von Kommissarin Silje Sørensen. Abgeschrieben von Sekretärin Rita Lyngåsen. Von dieser Vernehmung existiert ein Tonband. Die Vernehmung wurde am Montag, dem 6. Dezember 1999, auf der Osloer Hauptwache aufgezeichnet.
Zeuge:
Kvie, Sebastian, Personenkennummer 161179 48062
Wohnhaft: Herslebsgate 4, 0561 Oslo
Arbeitsplatz: Restaurant Entré, Oslo
Über seine Rechte belehrt, aussagebereit. Weiß, daß
die Vernehmung auf Band aufgenommen und später
ins Protokoll überführt werden wird.
PROTOKOLLANTIN:
Können Sie uns als erstes etwas über Ihre Arbeit sagen? Über Ihr Verhältnis zu dem Toten und so weiter? (Husten, unverständliche Rede)
ZEUGE:
Ich arbeite seit der Eröffnung im Entré. Also seit dem 1. März dieses Jahres (Papiergeraschel, Gemurmel im Hintergrund). Ich habe im Frühjahr 98 den Leistungskurs Koch- und
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