Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
nicht der erste Ermittler, der darum bittet, einen blauen Zettel vordatiert zu bekommen. Das kann ja wohl kein Grund sein, sich dermaßen aufzuregen.«
Annmari schlug die Hände vors Gesicht und wiegte sich langsam hin und her. Die anderen starrten sie an, unsicher, ob sie nachdachte oder weinte. Hanne glaubte ein leises Schnaufen zu hören, so als lache die Juristin eigentlich über alles. Eigentlich hätte jetzt der Polizeidirektor etwas sagen müssen. Hans Christian Mykland blieb stumm. Er ließ Annmari nicht aus den Augen.
Endlich schaute sie auf und holte Atem. »Herr Polizeidirektor. Ich möchte über die gestrige Verhandlung vor dem Untersuchungsgericht Bericht erstatten. Es war ein Alptraum.«
Mykland kniff die Augen zusammen. »Aber es ist doch gut gelaufen … vier Wochen U-Haft mit Post- und Besuchsverbot für beide, genau darum hatten wir gebeten.«
»Das ist aber nur mit knapper Not geglückt, und im Grunde auch nur, weil der eine Angeklagte nachweislich gelogen hatte und der andere schwitzte, als ob ein ganzer Stausee aus schlechtem Gewissen aus ihm herausflösse. Außerdem haben die Verteidiger Einspruch erhoben. Die Götter mögen wissen, wie die nächste Instanz entscheiden wird. Aber es war …« Sie schnappte nach Luft und schluckte schwer. »… peinlich! Es hat einfach weh getan, so miese Ermittlungsarbeit und eine dermaßen mangelhafte Beweiskette vorstellen zu müssen. Die Verteidiger haben sofort erkannt, daß wir Verhaftungen vorgenommen haben wie die Schwachsinnigen. Und jetzt bleibt uns nur noch eins. Wir dürfen einfach nicht noch weitere Fehler begehen. Wenn du …« Wieder richtete sie einen zitternden Zeigefinger auf Billy T. »… im Nebel herumtappst, um zu beweisen, daß Vilde hinter dem Mord an ihrem Ehemann steckt, der in Wirklichkeit ihr Vater ist, während du gleichzeitig zusammen mit mir zwei andere Personen wegen dieses Mordes in U-Haft schicken willst, dann verliere ich den letzten Rest von Vertrauen zu …« Sie schnappte nach Luft. »… dir.«
Allmählich ging Hanne Wilhelmsen auf, warum Annmari sie angerufen hatte. Ihr wurde abwechselnd kalt und heiß, und sie schlug die Beine übereinander, um nicht aufzustehen und den Raum zu verlassen.
»Wir sind hier nicht beim Kaffeeklatsch«, sagte Annmari, und zum ersten Mal schwang in ihrer Stimme leises Bedauern mit. »Wir müssen professionell vorgehen. Und im Moment bist du nicht professionell genug, Billy T. Ich beantrage deshalb, daß du die Leitung der Ermittlung an Hanne Wilhelmsen abgibst.«
Hanne war an der Nase herumgeführt worden. Sie starrte Billy T. durchdringend an, um ihm zu verstehen zu geben, daß sie davon nichts gewußt hatte. Er hatte die Augen geschlossen und war kaum wiederzuerkennen. Der Schnurrbart hing traurig ungepflegt unter seiner Nase, und er hatte schon seit Wochen nicht mehr die Zeit gefunden, sich den Schädel zu rasieren. Der grau gesprenkelte Haarkranz um seinen Kopf ließ ihn zehn Jahre älter aussehen.
»Das kommt nicht in Frage«, sagte Hanne ruhig. »Indiskutabel. Ganz und gar ausgeschlossen.«
Der Polizeidirektor sah aus, als sei ihm gerade erst aufgefallen, daß er diese Besprechung leitete und daß sie in seinem Büro saßen. Er hielt sich die Hand vor den Mund und räusperte sich.
»Polizeijuristin Skar und ich haben über die Lage gesprochen«, sagte er leise. »Und ich stimme darin mit ihr überein, daß es wünschenswert wäre, wenn du deine alte Position wieder einnehmen könntest. Nach Neujahr wäre das ohnehin geschehen. Und bis dahin ist es nur noch eine gute Woche. Im Grunde ist das doch ganz undramatisch. Und es ist eine Bitte, Hanne. Kein Befehl.«
»Also gut«, sagte Hanne und erhob sich. »Die Bitte wird nicht erfüllt.«
Noch ehe sie bei der Tür war, fuhr sie herum.
»Wißt ihr, was euer Problem ist?« Sie starrte abwechselnd Annmari und den Polizeidirektor an. »Wenn die Lage so schwierig wird, daß euch der Boden unter den Füßen brennt, dann sucht ihr nach einem Sündenbock. Ich habe das schon früher beobachtet und werde es wohl auch wieder erleben. Besser wär’s, ihr würdet Billy T. bei dieser schwierigen Aufgabe unterstützen. Und außerdem …« Sie bohrte drei Löcher in die Luft über dem blauen Zettel, der mitten auf dem ovalen Tisch lag. »… sollte jemand den Blauen unterschreiben. Sofort.«
Dann ging sie ohne einen Blick für Billy T.
60
»Ist bei der Koordinierungsbesprechung heute morgen etwas Neues herausgekommen?«
Silje
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