Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
bauen. Was ist das andere Geheimnis? Bekommst du ein Kind?«
Silje Sørensen war eine hübsche Frau, sie war klein, fast zart. Hanne hatte sich schon gefragt, ob die Kollegin sich wohl in Stöckelschuhen hatte messen lassen, um die für die Aufnahme in die Polizeischule vorgeschriebene Mindestgröße zu erreichen. Ihre Gesichtszüge waren regelmäßig, der Nasenrücken leicht geschwungen, und das betonte den neugierigen Ausdruck in ihren Augen.
»Jetzt siehst du schwachsinnig aus«, sagte Hanne Wilhelmsen.
»Aber«, sagte Silje und machte den Mund wieder zu.
»Dein Bauch juckt. Kauf dir eine gute Creme, und reib dich oft damit ein. Außerdem hat es gestern morgen nach Erbrochenem gerochen, nachdem du auf dem Klo warst. Magersucht? Mnjein … Schwanger?Vermutlich. Elementar, meine liebe Silje. Aber …« Siljes Schwangerschaft erschien ihr plötzlich wie eine Katastrophe. Sie erstarrte, ihre Hand hielt auf halbem Wege zum Mund inne, die Zigarette wippte noch zwischen ihren Lippen. Am Ende mußte sie die Augen schließen, um sie vor dem Rauch zu schützen, und sie rief: »Hast du Daniel Åsmundsen gesehen, Silje?«
»Gesehen? Ist der denn nicht gestern entlassen worden?«
»Ich meine, gesehen.«
Hanne drückte ihre Zigarette in dem stinkenden Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch aus. Dann rannte sie zur Tür. Als sie nach drei Minuten zurückkam, hielt sie hinter ihrem Rücken etwas versteckt. Sie beugte sich über Silje. Ihre Gesichter waren kaum zehn Zentimeter voneinander entfernt, als sie mit verbissener Stimme noch einmal fragte: »Hast du Daniel Åsmundsen je in deinem Leben gesehen?«
Silje zog unwillkürlich den Kopf zurück.
»Ich glaube nicht«, sagte sie langsam. »Warum fragst du?«
»Gott sei Dank waren sie klug genug, den Knaben zu fotografieren. Keine Ahnung, ob sie auch Fingerabdrücke genommen haben, aber das Bild lag im Ordner. Schau her!« Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und knallte das Foto eines jungen Mannes vor Silje hin. »Sieh dir diesen Jungen an. Kommt er dir irgendwie bekannt vor?«
Silje starrte das Bild lange an. Daniel Åsmundsen sah jung aus. Sie wußte, daß er über zwanzig war, aber dem Bild nach zu urteilen hätte er auch als Teenie durchgehen können. Vielleicht lag das an seinen vollen Wangen, vielleicht an den Augen, die weit aufgerissen in die Kamera starrten.
»Das Gesicht hat etwas Bekanntes«, sagte sie vorsichtig. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich den Jungen noch nie gesehen habe, aber trotzdem …« Sie schob sich den Zeigefinger in den Mund und lutschte geräuschvoll darauf herum.
»Schau mal«, sagte Hanne und drehte sich zum Computer um, der nach langem Hin und Her endlich von einem trägen IT-Spezialisten angeschlossen worden war. »Wenn ich recht habe, dann wird das Einwohnermeldeamt mitteilen … Jawoll!«
»Was denn?«
»Daniel Åsmundsens Mutter heißt Thale Åsmundsen. Ist das nicht diese Schauspielerin? Die vom Nationaltheater? Egal … sieh mal:Vater unbekannt.«
Sie ballte die Fäuste und schlug begeistert damit auf die Tastatur. Die Informationen verschwanden in einem Chaos aus unbegreiflichen Zeichen.
»Bei der Besprechung heute morgen hat sich herausgestellt, daß Brede offenbar irgendwo ein Kind hat. Billy T. hat mit … scheiß drauf. Und wenn du dir dieses Bild hier ansiehst …«
»Also ehrlich. Du hast gesagt, bei der Besprechung hätte sich nichts Neues ergeben, und jetzt erzählst du mir …«
»Jetzt! Schau dir das Bild noch einmal an!«
Silje nahm das Bild erneut zur Hand. Dann schnalzte sie leise mit der Zunge.
»Brede Ziegler«, sagte sie. »Daniel Åsmundsen hat Ähnlichkeit mit Brede Ziegler. Aber …« Noch immer starrte sie das Bild an. Das gleiche runde Gesicht wie der Vater, die gleiche Nase, ein wenig zu breit, ein wenig zu groß, mit weiten ovalen Nasenlöchern. »… was hilft uns das?« fragte sie schließlich kleinlaut und schaute auf. »Vielleicht ist Daniel Brede Zieglers Sohn, aber was hat das mit dem Mord zu tun?«
»Keine Ahnung«, sagte Hanne und grinste breit. »Aber hol deinen Millionärinnenpelz. Wir haben zu tun.«
61
Billy T.s Knie stießen von unten gegen die Tischplatte, und er fürchtete, daß der Stuhl seine hundertsieben Kilo nicht tragen werde. Der Versuch, sich leicht zu machen, brachte ihm einen Krampf in den Oberschenkeln ein. Außerdem hatte er keinen Hunger.
»Warum heißt ein norwegisches Lokal überhaupt Frankie’s?«, fragte er sauer und nippte am Bier; der Schaum zog in
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