Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
kommen.
H. W.:
In Ordnung, wir machen eine Pause. Das Verhör wird um … 12.47 Uhr unterbrochen.
Das Tonband wird ausgeschaltet.
H. W.:
Es ist jetzt 13.23 Uhr, das Verhör mit der Angeklagten Idun Franck wird fortgesetzt. Die Angeklagte war auf der Toilette. Ihr wurde eine Mahlzeit angeboten, aber sie möchte nichts essen. Es ist Kaffee serviert worden. Können wir jetzt weitermachen?
I. F.:
Ja, ich bin bereit.
B. T.:
Kommen wir zurück auf Ihre Bekanntschaft mit Brede Ziegler. Wann haben Sie ihn kennengelernt?
I. F.:
Wann ich ihn kennengelernt habe? (lacht) Kommt drauf an, wen Sie meinen. Freddy Johansen habe ich vor fast vierundzwanzig Jahren kennengelernt. Damals bin ich ihm einmal begegnet. Das hat gereicht. Brede Ziegler habe ich im August dieses Jahres kennengelernt. Im Verlag. Er hat mich nicht erkannt. Vierundzwanzig Jahre hinterlassen ihre Spuren, und ich hieß damals ja noch nicht Franck. Ich war einige Jahre verheiratet. Von dem Buch habe ich Ihnen schon erzählt. Es war meine Idee, daß ich ihm beim Schreiben helfen könnte. Der Verlag war von dieser Idee begeistert, Brede aber hatte seine Zweifel. Er wünschte sich einen bekannteren Namen. Und jemanden, der Italien kennt. Er hat dann tatsächlich Erik Fosnes Hansen vorgeschlagen. Als ob der für so was Zeit hätte. Den Ghostwriter zu machen für einen … egal. Ich habe zwei andere gefragt. Publizisten. Und zwar so, daß ich einer Absage sicher sein konnte. Also mußte er sich mit mir zufriedengeben. Brede hatte keine Ahnung, daß ich Thales Schwester bin, und ich habe es auch nicht erwähnt.
B. T.:
Aber Sie wußten, daß Brede Daniels Vater war?
I. F.:
Ich habe immer gewußt, daß Freddy Johansen Daniels Vater war. Aber der war ja verschwunden, und wir haben ihn auch nie vermißt. Als er als Brede Ziegler wiederauferstand, hatte er mit uns erst recht nichts mehr zu tun. Das hat sich erst geändert, als Daniel krank wurde.
B. T.:
Was war das für eine Krankheit?
I. F.:
Mit vierzehn wurde Daniel sehr krank. Er brauchte eine Nierentransplantation, um zu überleben. Thale wurde untersucht, aber sie kam als Spenderin nicht in Frage. (Pause, hebt die Stimme) Aber das hat Thale Ihnen doch schon gesagt.
H. W.:
Erzählen Sie es uns trotzdem noch einmal.
I. F.:
Wir waren verzweifelt. Ich habe die Ärzte im Krankenhaus gebeten, eine Anfrage an Brede Ziegler zu richten. Gleichzeitig habe ich mich untersuchen lassen, aber die Hoffnung war ja gering, wo schon Thale nicht in Frage kam. Und dann war es doch möglich. Sie konnten Daniel eine Niere von mir geben. Er wurde gesund. Brede aber … (Stimme versagt, weint) . Er hat nicht einmal geantwortet. Er hat nicht einmal geantwortet! Ich hatte nie eine hohe Meinung von Brede Ziegler oder Freddy Johansen, aber daß er bereit war, seinen Sohn einfach so sterben zu lassen … (weint lange, murmelt, undeutlich) … das kann ich ihm nicht verzeihen.
H. W.:
Erzählen Sie von Daniel.
I. F.:
Ich bin seine Tante. Er ist mein Neffe. Ich liebe ihn. Sie haben mit Thale gesprochen und wissen, daß wir ihn gewissermaßen geteilt haben. Wir haben ihn zusammen großgezogen, könnte man sagen.
H. W.:
Ja, das wissen wir. Aber erzählen Sie von ihm. Ausführlicher. Haben Sie gestern mit ihm gesprochen?
I. F.:
Woher wissen Sie das? Das war das Schlimmste. Mit Daniel zu sprechen (weint heftig) … Ich werde ihn verlieren, und er braucht mich doch immer noch …
ANWÄLTIN:
Idun, bedeutet das, daß du letzte Nacht nicht geschlafen hast? Ich möchte das ins Protokoll aufnehmen lassen. Daß meine Mandantin unter erheblichem Schlafmangel leidet. Wir können eine Pause machen, wenn du willst.
I. F.:
Nein, ich möchte das gern erzählen … (Putzt sich die Nase?) Ich werde oft gefragt, ob ich Kinder habe. Und dann sage ich nein, denn eigentlich habe ich ja keine. Irgendwie gehört es sich für eine Tante nicht, dermaßen an ihrem Neffen zu hängen. Aber ich habe mir oft überlegt, daß Daniel gewissermaßen zweimal geboren worden ist. Zuerst von Thale und dann von mir. Als er meine Niere bekommen hat. Als es so aussah, als würden wir ihn verlieren, ist mir aufgegangen, daß Daniel der einzige Mensch ist, dem ich jemals wirklich nahegestanden habe. Immer. Sein ganzes Leben lang. Ich habe mir im Grunde kein anderes Kind gewünscht. (leise) Ich brauche noch etwas Wasser, bitte. Aber das ist nicht alles … daß er meine Niere bekommen hat, daß ich auf ihn aufgepaßt habe, als er klein war. Es ist … es ist so
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