Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
… es heißt doch, daß ein Kind Mutter und Vater braucht. Zwei Elternteile, nicht wahr? Daniel hat keinen Vater, er hat Thale, aber die ist … wie soll ich sagen? Sehr nüchtern. Daniel hat mich gebraucht, weil ich die Welt nicht nur aus einem praktischen Blickwinkel sehe. Thale legt alles, was sie an Seele besitzt, in ihre Rollen. Ansonsten ist sie ungeheuer vernünftig. Bei mir konnte Daniel seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Seinem Staunen. Er ist ein empfindsamer Junge, und … ich habe versucht, ihm zu zeigen, daß es auf der Welt noch mehr gibt als praktische Aktivitäten und Theaterkunst (kurzes Lachen, längere Pause). Ich kann Ihnen ein Beispiel geben. Daniel weiß, daß Brede sein Vater war. Thale hat es ihm an seinem achtzehnten Geburtstag erzählt. Ganz nüchtern. Sie fand, er habe das Recht, das zu erfahren, darüber hinaus sei es allerdings nicht der Rede wert. Ich habe gesehen, daß Daniel seit Bredes Tod verwirrt und unglücklich ist. Aus naheliegenden Gründen (kurzes Lachen, Schluchzen?) habe ich mit Daniel nicht über den Tod seines Vaters reden mögen. Aber ich habe gesehen, wie schwer er die Sache nimmt. Er wirkt ziemlich verzweifelt, und er ist zu jung, um allein damit fertig zu werden. Thale will sich ja erst damit befassen, wenn die Erbschaft aktuell wird (lacht kurz ). Aber ich war immer schon zu sehr Glucke, wenn es um Daniel ging. Was Daniel am meisten zu schaffen macht, ist nicht der Tod seines Vaters. Den bedauert er natürlich, denn er hat ihm die letzte Hoffnung genommen, jemals einen Vater zu haben. Aber als ich letzte Nacht mit ihm sprach, habe ich endlich in Erfahrung bringen können, warum er die Bücher von meinem Vater verkaufen wollte. Gleich nach dessen Beerdigung hat Daniel mich nach Paris eingeladen. Er meinte, jetzt sei es an ihm, mir eine Freude zu machen. Ich habe deutlich gespürt, wie wichtig es für ihn war, daß ich sein Geschenk annahm, und ich habe im Grunde nicht weiter darüber nachgedacht, woher er das Geld hatte. Er sagte, er habe lange gespart. Aber in Wirklichkeit hat er das Geld von einem Freund geliehen. Dieser Freund hatte gerade sein Studiendarlehen ausbezahlt bekommen, und Daniel hat ihn angepumpt. In dem sicheren Gefühl, daß er bald seinen Großvater beerben würde. (Pause) Daniel hat viel geweint letzte Nacht. Es ist ihm peinlich, daß er gleich bei seinem ersten Versuch, erwachsen zu sein und etwas für mich zu tun, Schulden machen mußte. Niemals hätte er mich um Geld gebeten, um das Geschenk für mich bezahlen zu können – obwohl er seinem Freund um ein Haar das Studium kaputtgemacht hätte. Aber ich habe das heute morgen noch in Ordnung gebracht. Ich habe das Geld an Eskild überwiesen, ehe Sie gekommen sind.
B. T.:
Weiß Daniel, daß Sie seinen Vater umgebracht haben?
I. F.:
Nein. Das konnte ich ihm einfach nicht sagen. Daniel muß mit der Tatsache leben, daß er Eltern hat, die ihm das Leben schwergemacht haben, und ich hoffe nur, daß er … (weint heftig) … weiterkommt.
B. T.:
Aber ich begreife das noch immer nicht. Sie hatten allen Grund, Brede zu hassen, als er vor über zwanzig Jahren Thale und das Kind im Stich gelassen hat, Sie hatten allen Grund, ihn zu hassen, als er Daniel während dessen Krankheit nicht helfen wollte. Warum haben Sie ihn gerade jetzt umgebracht?
I. F.:
Ich hatte ihn kennengelernt. Er war schlimmer, als ich erwartet hatte. Das war schließlich meine Aufgabe, nicht wahr? Ich mußte ihn kennenlernen, um dieses Buch machen zu können. Ich sollte sozusagen dicht an ihn herankommen. Den Mann porträtieren. Natürlich hätte ich diese Aufgabe nie übernehmen dürfen, aber ich war neugierig. Seltsamerweise wollte ich ihm aber auch eine Chance geben. Ich habe wohl einfach nicht glauben können, daß er wirklich so zynisch war, wie es während all der Jahre schien. Ich hatte die idiotische Vorstellung … wenn ich nur seinen Standpunkt kennenlernte, dann würde ich ihn vielleicht verstehen können. Das war entsetzlich naiv, aber eigentlich … (weint) Das Ganze war eine Art … (Pause) … Geschenk? An Daniel? Ich wollte Brede kennenlernen, um Daniel Verständnis für das Verhalten seines Vater zu ermöglichen. Es wollte mir nicht in den Kopf, daß Daniels Vater gar keine guten Eigenschaften haben sollte. Aber als ich dann an der Oberfläche kratzte, war darunter nichts vorhanden. Für Brede Ziegler existierte eine einzige Triebkraft: das, was ihm nützte.
B. T.:
Er hatte doch auch einiges erreicht.
I.
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