Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Ihnen. Ihnen wird der vorsätzliche Mord an Brede Ziegler vorgeworfen, begangen am Sonntag, dem fünften Dezember 1999. Möchten Sie aussagen?
I. F.:
(hustet) Ja, ich möchte aussagen (hustet) . Ich möchte als erstes sagen, daß ich im Grunde keine Anwältin brauche. Ich werde meine Aussage machen, und ich weiß, was ich tue.
ANWÄLTIN:
Ich glaube, Sie begreifen nicht so recht, was das bedeutet. Sie werden des vorsätzlichen Mordes angeklagt. Sagen Sie, was Sie sagen möchten, und um die Fragen von Schuld und Verantwortung kümmern wir uns später. Ich bitte das zu respektieren, Wilhelmsen. Keine Fragen nach Schuld und Verantwortung. Fragen Sie nur nach den Tatsachen.
I. F.:
Aber das ist doch ganz einfach … ich habe schließlich …
ANWÄLTIN:
Ich glaube, es bleibt dabei.
H. W.:
In Ordnung. Wir halten uns an die Wünsche Ihrer Anwältin. Aber jetzt geht es los. Ich würde dieses Verhör gern ohne Unterbrechungen durchführen. (Rascheln, undeutlich) Der Angeklagten wird Beschlagnahmung 64 vorgelegt. Können Sie mir sagen, was das ist?
I. F.:
Das ist … kann ich einen Schluck Wasser haben? (Klirren) Danke. Das ist ein Schal. Mein Schal.
H. W.:
Sind sie ganz sicher? Woran erkennen Sie, daß es Ihr Schal ist?
I. F.:
Am Muster. Indisches Muster, grün und lila. Den habe ich vor langer Zeit in London gekauft. Ich habe nicht sofort bemerkt, daß ich ihn verloren hatte. (Kaum hörbar, flüstert): Sie haben ihn dort gefunden, nicht wahr?
H. W.:
Es ist wirklich nicht unsere Aufgabe, Fragen zu beantworten, Idun Franck. Wo, glauben Sie, ist der Schal gefunden worden?
I. F.:
Hinter der Wache, nicht wahr? (Schweigen, längere Pause) Aber ich begreife … (undeutlich, Scharren) … nichts. Warum haben Sie mich nicht längst festgenommen, wenn Sie doch den Schal hatten? Ich habe schon lange auf Sie gewartet. Neulich, als Sie und die andere bei mir zu Hause waren, dachte ich … Es waren grauenhafte Wochen. Zuerst wollte ich nur weg. In der Nacht zum Montag, nachdem es passiert war, konnte ich nicht schlafen und beschloß, zur Polizei zu gehen. Mich stellen. Aber dann … es war irgendwie so … ungerecht . Daß ich für etwas bestraft werden sollte, das … Also bin ich zur Arbeit gegangen und habe gedacht, die Sache mit der Schweigepflicht könnte mir helfen, mich nicht in zu viele Lügen zu verwickeln. Danach … (Nicht mehr zu hören, Pause) Aber gestern habe ich es begriffen.
H. W.:
Was haben Sie gestern begriffen?
I. F.:
Daß ich verhaftet werden würde. Thale hat mich angerufen. Sie hat erzählt, daß Sie über Daniel und Brede gesprochen haben. Früher oder später mußten Sie dieser Geschichte ja auf den Grund kommen. Damit hatte ich gerechnet. Thale war seltsam verstört über Ihren Besuch. Sie ist sonst immer ganz … Na ja, sie hat kaum … Sie war so … detailliert. Hat das gesamte Gespräch wiedergegeben. Wort für Wort, so kam es mir vor. Samt Eiern und Kakao und sogar … daß Sie so lange das Familienbild angestarrt haben. Das vom achtzigsten Geburtstag meines Vaters, meine ich. Und da wußte ich, daß Sie kommen würden. Plötzlich wußte ich, was ich an dem Tag anhatte. Das graue Seidenkleid. Und den Schal.
H. W.:
Na gut. Fangen wir von vorn an. Haben Sie Brede Ziegler am Abend des fünften Dezember dieses Jahres getroffen?
I. F.:
Ja. Wir hatten uns für elf Uhr abends vor der Moschee im Åkebergvei verabredet.
H. W.:
Warum das? Draußen? So spät an einem Winterabend?
I. F.:
Es war wirklich eine ziemlich törichte Verabredung. Ich wollte mich herausreden, aber Brede bestand darauf. Es war ganz versessen darauf, mir das neue Mosaik in der Fassade der Moschee zu zeigen. Angeblich bringt es sein … seine »Vorstellung von Schönheit« zum Ausdruck, wie er das nannte. Ich habe gesagt, ich hätte keine Zeit. Ich hätte an diesem Abend schon etwas vor. Ein Kirchenkonzert (lacht kurz) . Ein Zufall kann sich plötzlich als Joker erweisen, nicht wahr? Ich war überhaupt nicht im Kino. Ein Arbeitskollege glaubte mich dort gesehen zu haben. Aber er hat sich geirrt. Er muß mich verwechselt haben. Als Billy T. mich später fragte, wo ich an diesem Abend gewesen sei, konnte ich einfach Samir Zetas Bemerkung nutzen … und damit war mein Alibi gerettet. Das ergab sich aus purem Zufall so. Ich hatte den Film eine Woche zuvor gesehen. Ich wußte, wovon er handelt, wie lange er dauert, daß ich nach der Vorstellung meine Schwester nicht mehr besuchen konnte und … auf jeden Fall … (Pause,
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