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Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt , Berit Reiss-Andersen
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einer Art Abschiedsgruß in Richtung der telefonierenden Lektorin hob, wäre er fast mit einem jungen Mann zusammengestoßen. Billy T. meinte, den Jungen erkannt zu haben.
    »Die Dichter werden auch jedes Jahr jünger«, murmelte er und zog im Gehen die Jacke an.

12
    Thomas mußte mal. Wenn er nicht zu sehr daran dachte, schaffte er es vielleicht noch bis nach Hause. Obwohl er schon siebeneinhalb war, machte er sich manchmal noch in die Hose. Am Tag zuvor war ihm ein Mann mit einer blauen Nase begegnet. Der Mann war uralt gewesen und hatte bis zum Transformatorenhäuschen hinüber gestunken, wo Eirik, Lars und Thomas gelacht und geheult und sich versteckt hatten, um sich die riesige blitzblaue Nase anzusehen. Als der Mann bei der Tankstelle über die Suhms gate gegangen war, hatte Thomas vorn auf seiner Hose einen gelben Fleck und vor seinen Füßen eine Pfütze gesehen. Er war vor dem Lachen seiner Freunde davongejagt und wäre fast überfahren worden.
    Jetzt stand er vor dem Tor und preßte die Beine übereinander. Mama wollte ihm den Schlüssel um den Hals hängen. Papa hatte ihm zu Weihnachten so ein Hausmeisterding geschenkt; einen Karabinerhaken aus Metall, den er an einer Gürtelschlaufe festmachen konnte. Thomas mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, damit die Schnur, an der der Schlüssel hing, reichte. Endlich glitt der Schlüssel ins Schloß; das Tor ging auf, und Thomas rannte durch den Torweg.
    »Sommereis, saure Sahne, Südseebrise.« Das half sonst immer. Lange Reihen von schwierigen S-Wörtern. Er hatte in seinem Zimmer eine Liste hängen mit immer neuen und immer schwierigeren Wörtern, die er büffeln konnte.
    Kurz vor der Haustür blieb er stehen. Da war die Hexe! Thomas Gråfjell Berntsen ging nicht freiwillig an Tussi Gruer Helmersen vorbei. Frau Helmersen aus dem ersten Stock war das einzige auf der ganzen Welt, wovor Thomas sich wirklich fürchtete. Einmal hatte sie ihn auf der Treppe so hart gestoßen, daß er gefallen war. Er hatte sich zwar nicht ernsthaft verletzt, aber seither machten ihre gelben Augen ihm Alpträume. Wenn sie ihn überraschte, was immer seltener passierte, dann kniff sie ihn fest in die Wange, sozusagen als Gruß.
    Thomas konnte sich nicht länger beherrschen. Er stand hinter den Mülltonnen und wagte nicht, sich zu bewegen. Tränen traten ihm in die Augen.
    Frau Helmersen trug ihren Morgenrock, obwohl es doch ziemlich kalt war. Sicher würde sie gleich wieder ins Haus gehen. Thomas schloß die Augen und schluchzte mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Geh weg. Geh weg.«
    Aber Frau Helmersen blieb stehen. Nur ihr Kopf bewegte sich, sie schien nach etwas Ausschau zu halten.
    »Miez! Mihihiez! Komm doch, Miez!«
    Frau Helmersen hatte keine Katze. Sie haßte Katzen. Thomas wußte, daß sie sich bei der Hausverwaltung beschwert hatte. Über Helmer, einen roten Kater, den Thomas zwei Jahre zuvor von seiner Oma zu Weihnachten bekommen hatte. Eigentlich hatte er sich einen Hund gewünscht, aber Hunde waren in diesem Haus nicht erlaubt.
    »Brave Mieze«, hörte er Frau Helmersen sagen. »Und jetzt schön austrinken.«
    Thomas hielt den Atem an und lugte hinter den Mülltonnen hervor. Frau Helmersen bückte sich über Helmer, der Milch aus einer Schale leckte.
    Endlich richtete sie sich auf. Sie sah überhaupt nicht aus wie ein Mensch. Vielmehr erinnerte sie ihn an einen Roboter mit ihren steifen, beängstigenden Bewegungen. Thomas klapperte mit den Zähnen, aber er würde erst aus seinem Versteck zum Vorschein kommen, wenn er sicher sein konnte, daß Frau Helmersen in ihrer Wohnung verschwunden war.
    Als er sich einigermaßen sicher fühlte, schlich er sich zu Helmer hinüber. Die Hose scheuerte in seinem Schritt. Der Kater leckte noch immer das weiße Schälchen mit Blümchen ab. Thomas hob ihn hoch.
    »Hat Frau Helmersen dich gefüttert?»
    Als er das weiche Katzenohr an seinem Mund spürte, mußte er erst recht weinen. Oben in der Wohnung zog er sich um, trotzdem fror er noch immer. Er wußte, daß er sich waschen mußte, aber er wollte auf seine Mama warten. Er verkroch sich im Bett und deckte sich und Helmer gut zu. Der Kater jammerte leise.
    Als Thomas um kurz vor fünf davon geweckt wurde, daß seine Mama nach Hause kam, war Helmer tot.

13
    Erst später sah er die Warnung auf der Packung. Eine Stunde zuvor hatte er zwei Paracetamol genommen. Und nun noch zwei. Der bittere Geschmack brannte in der Speiseröhre. Er las die Warnung ein weiteres Mal und schüttelte den

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