Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Dunkelheit zerrissen und ihn blendeten, veranlaßten ihn, sich blitzschnell in den kleinen Hohlraum im Torweg zu drücken, wo die Tür war. Der Torweg war eng, und der Wagen mußte zum Glück auf die Straße zurücksetzen, um manövrieren zu können. Der Fahrer konnte ihn nicht gesehen haben.
Sebastian stand ganz still da und preßte den Mund gegen das schmutzige Holz. Er wagte nicht einmal zu atmen, bis der Motor erloschen war, die Autotür ins Schloß fiel und leichte Schritte sich entfernten. Langsam ließ er den Atem aus seiner Lunge entweichen und kam zur Ruhe.
Als er aus dem Torweg hervorlugte, sah er auf dem Hinterhof Claudios Auto. Einen Volvo-Pritschenwagen. Die Heckklappe stand offen. Sebastian lief zu den Mülltonnen hinüber, fünf riesigen stinkenden Plastikbehältern. Er brauchte nicht lange zu warten.
Die kleinwüchsige Gestalt mit dem großen Kopf kam vor der hochgeklappten Kellerluke zum Vorschein. Claudio trug einen Kasten und ging auffallend langsam. Als er den Kasten vorsichtig auf die Ladefläche des Wagens schob, hörte Sebastian etwas. Ein leises Klirren, wie das von vollen Flaschen, die gegeneinanderstießen.
Fünf Kästen wurden aus dem Weinkeller des Entré getragen. Sebastian stand zu weit weg, um erkennen zu können, ob die Kästen irgendwelche Aufschriften trugen.
Claudio klappte die Kellerluke wieder herunter und legte ein riesiges Hängeschloß vor. Dann machte er die Heckklappe des Wagens zu und fuhr langsam auf die Straße. Erst nachdem Claudio noch einmal ausgestiegen war und das Tor verriegelt hatte, wagte Sebastian sich aus seinem Versteck hervor. Seine Kleider stanken. Er hatte soeben gesehen, wie Claudio sich selbst fünf Kästen Wein gestohlen hatte. Er begriff rein gar nichts.
37
Silje Sørensen hatte ein Geheimnis. Sie hätte Tom einweihen müssen, aber sie zögerte. Als sie am Vorabend nach Hause gekommen war, hatte sie die von ihm gekochte Mahlzeit nicht hinuntergebracht. Er hatte so lange mit dem Essen gewartet, daß sich der Eintopf mit einer Kruste überzogen hatte. Davon war ihr schlecht geworden, und sie hatte mit einem Wort des Bedauerns und einem ausgiebigen Gähnen den Teller zurückgeschoben. Tom hatte sich Sorgen gemacht; er machte sich schon längst Sorgen. Als Aktienmakler hatte er selbst lange Arbeitstage, und er wußte, daß es für Silje eine phantastische Chance bedeutete, so rasch an einer Mordermittlung beteiligt zu werden. Aber sie hatte abgenommen. Während der letzten Wochen waren die Ringe unter ihren Augen deutlicher geworden. Außerdem war ihr dauernd schlecht; er hatte gehört, wie sie sich morgens hinter der verschlossenen Badezimmertür erbrach. Er konnte nicht begreifen, wieso sie unbedingt zwölf Stunden am Tag arbeiten mußte, wo es ihr doch neben einem lächerlichen Gehalt außer Pöbeleien in den Medien nichts einbrachte. Als ob das Geld jemals ein Problem gewesen wäre, hatte sie gesagt – und den Tisch verlassen.
Sie hatten sich nicht gestritten. Es war nur ein ernstes Gespräch gewesen. Und bei der Gelegenheit hätte sie es ihm erzählen müssen. Auch wenn klar war, daß er dann verrückt spielen würde. Sie versuchten jetzt seit anderthalb Jahren ein Kind zu bekommen. Silje wußte, daß das nicht lange war. Tom war ungeduldiger. Wenn sie ihm erzählt hätte, daß sie so ungefähr in der neunten Woche schwanger war, dann hätte er sie in erstickende Fürsorge gehüllt und nicht mehr zur Arbeit gehen lassen. Also mußte sie warten.
Immerhin hatte sie gut geschlafen. Die Stimmung hatte sich seit der mißlungenen Mahlzeit des Vorabends noch nicht wesentlich gebessert, aber er hatte immerhin ein Lächeln zustande gebracht, als sie angekündigt hatte, lange schlafen zu wollen. Inzwischen war Freitag, der 17. Dezember, und sie mußte erst um zwölf zum Dienst. Das Budget für Überstunden war schon im Juli gesprengt worden, und sie sollten zum Jahreswechsel so viele wie möglich abstottern.
»Guten Morgen!«
Silje warf einen Blick auf den Wecker. Zehn nach zehn. Sie setzte sich mühsam auf und stopfte sich ein Kissen in den Rücken.
»Wie schön«, seufzte sie, als er das Tablett vor sie hinstellte.
Tee, Saft, Milch. Zwei halbe Ciabatte mit Gorgonzola und italienischer Salami. Eine Lebertranpille und zwei Multivitaminpräparate kullerten auf dem Tablett herum. Tom hatte Zeitungen und eine rote Rose gekauft, hatte die Blätter von der Rose gezupft und sie dann in eine Rosenvase gesteckt, die umzukippen drohte, als er ins Bett stieg
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