Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
der Kulturkampf an allen Fronten ausgefochten werden muß. Wollen wir in norwegischen Wohnhäusern Vielweiberei und fanatischen Antialkoholismus dulden? In einen Mor-Monsen-Kuchen gehören zwei Eßlöffel Cognac und sechzehn gute NORWEGISCHE Eier. Machen Sie mit! Tragen Sie die weiße Feder!‹«
Silje lachte und schlug sich mit der Zeitung auf den Oberschenkel. »Da müßte jemand ein Buch draus machen.«
»So ein Buch gibt es schon.«
Tom versuchte sie wieder zuzudecken. Sie schob ihn noch einmal weg und starrte den Leserbrief aus zusammengekniffenen Augen an.
»›Reine Faust‹. Sie … das hat offenbar eine Frau geschrieben, und die nennt sich ›Reine Faust‹:Was meinst du damit, daß es schon eins gibt?«
»Es gibt ein Buch mit hoffnungslosen Leserbriefen. Das ist schon vor vielen Jahren erschienen.«
»Dann sollte noch eins gemacht werden«, sagte Silje entschieden. »Was ›Reine Faust‹ wohl bedeuten soll?«
Tom drehte sich gereizt auf den Rücken und blies die Wangen auf.
»Können wir nicht über das Kind sprechen«, quengelte er. »Vor einer Dreiviertelstunde hast du mir erzählt, daß ich Papa werde, und jetzt willst du dich mit Leserbriefen von verdammten Rassistinnen amüsieren.«
Silje fuhr hoch. Tom wurde unter Decken begraben.
»Reine Faust! Ich wußte doch, daß ich das schon mal gesehen habe!«
Fünf Minuten später war sie angezogen. Sie fühlte sich hellwach, gesund und tatendurstig. Tom lag noch im Bett, mürrisch und verärgert.
»Ich komme heute nicht spät. Versprochen! Aber jetzt muß ich einfach zur Arbeit!«
Sie küßte ihn auf die Nase, und zwei Minuten darauf hörte er, wie sie den Wagen anließ. Warum sie unbedingt einen Škoda Octavia fahren wollte, hatte er noch nie verstanden. Er selbst hatte einen Audi A 8 und einen feschen zweisitzigen BMW.
»Ich werde Papa«, sagte er langsam. »Ich brauche einen Kombi.«
Dann lachte er lange und glücklich.
40
Es war der Mutter zu verdanken, daß Billy T. rechtzeitig aufgestanden war, um Truls zur Schule zu bringen. Danach hatte er Weihnachtsgeschenke gekauft. Heiligabend war erst in acht Tagen, aber die Vorstellung, daß der Geschenkstreß erledigt war, bedeutete eine Erleichterung. Alle Jungen bekamen das gleiche, Werkzeugkästen in verschiedenen Farben, gefüllt mit Hammer und Laubsäge, Zollstock, Schrauben, Nägeln und Schraubenziehern. Sie würden bis tief in den zweiten Weihnachtstag hinein beschäftigt sein. Tone-Marit mußte sich mit einem Parfümflakon zufriedengeben, und für Jenny hatte er ganz einfach einen Kindersitz für den Wagen gekauft. Auf dem Konto waren noch dreitausenddreihundert Kronen. Das mußte bis weit ins neue Jahrtausend hinein reichen. Was es garantiert nicht tun würde.
Er fuhr die Auffahrt zu dem Block hoch, in dem Hanne Wilhelmsen wohnte. Bei seinem letzten Besuch hier hatte niemand aufgemacht. Die Wohnung war leer gewesen, und die Nachbarn hatten Hanne schon zwei Wochen lang nicht mehr gesehen. Da sie nicht einmal bei Cecilies Beerdigung erschienen war, hatten die anderen ihm geraten, sie in Ruhe zu lassen. Gib es auf, hatte Tone-Marit gesagt, du bekommst sie nicht zu fassen. Gib es auf. Das hatte er nicht geschafft. Vorher hatte er noch einen letzten Besuch machen und sich von ihrem Verschwinden überzeugen müssen. In der Personalabteilung war ein Brief eingegangen, das hatte er zwei Tage später erfahren. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, nach ihr suchen zu lassen, aber der Brief hatte ihn endlich dazu gebracht, Tone-Marits Rat zu befolgen. Sie hatten ihre Hochzeit bis in den August verschoben, aus Achtung vor Cecilie und weil Billy T. nichts von Hanne gehört hatte. Sie hatte seine Trauzeugin sein sollen.
Inzwischen schneite es;feuchte große Flocken, die schmolzen, als sie den Boden erreichten. Während der letzten Tage hatte das Wetter zwischen kalt und mild gewechselt. Jetzt lag die Temperatur bei Null, und die Heizung funktionierte nicht. Sie ließ sich auch nicht ausschalten. Stinkender kalter Rauch quoll aus dem Gebläse. Er hielt an, blieb sitzen und schaute hinauf zu dem Fenster im dritten Stock.
Er würde sie niemals loslassen können. Nicht, solange sie in Norwegen war, in Oslo. Bei der Polizei. Die Zeit, in der sie verschwunden gewesen war, hatte in gewisser Hinsicht eine Erleichterung bedeutet. Anfangs, in den ersten zwei Monaten nach ihrem Verschwinden, war sie allgegenwärtig gewesen. Alles, was er sagte und tat, jede Überlegung und jede Entscheidung, war von der
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