Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
nicht Claudio persönlich.
Diese vielen Unklarheiten hatten Sebastian veranlaßt zu schweigen. Im vergangenen Sommer hatte er Claudio einmal nach Feierabend überrascht. Claudio hatte etwas gemurmelt wie, das Etikett sei abgegangen. Die Geräte, die er da sah, waren ihm im Keller ziemlich kompliziert vorgekommen, auch wenn Sebastian nicht so recht begriff, wozu sie gut sein mochten. Und er hatte es seltsam gefunden, daß zwanzig Weinflaschen auf einmal ihr Etikett verloren haben sollten. Sebastian hatte gelächelt, mit den Schultern gezuckt und eine gute Nacht gewünscht. Und seither hatte er geschwiegen.
Seit Bredes Tod sah die Sache anders aus.
Sebastian schaute sich nach allen Seiten um, ehe er im Torweg verschwand. Er öffnete die Restauranttür und schaltete die Alarmanlage aus. Oft war er der erste, der zur Arbeit kam. Alle zwei Wochen flüsterte Kolbjørn Hammer ihm den neuen Code ins Ohr. Inzwischen war Sebastian zu der Überzeugung gelangt, daß Brede nichts mit dem Weinschwindel zu tun gehabt haben konnte. So war Brede nicht gewesen. Er hatte hart gearbeitet für das, was er sich wünschte, aber er hatte nicht gepfuscht, so wie Claudio. Vielleicht hatte Brede alles durchschaut. Das ergab doch einen Sinn. Damit ging die Gleichung auf. Brede hatte den Betrug entdeckt und Claudio vor die Wahl gestellt, entweder aus der Firma auszusteigen oder angezeigt zu werden.
Claudio hatte Brede umgebracht.
Sebastian wollte die Geräte suchen, die er im Keller gesehen hatte, als die Etiketten angeblich einfach so »abgegangen« waren. Er wollte einen Fall aufklären, bei dem die Polizei nur begriffsstutzig herumstocherte. Sebastian hatte in den Zeitungen über den Mord und die Ermittlungen gelesen, hatte die Artikel ausgeschnitten und allesamt aufbewahrt.
Im Dunkeln sah das Entré anders aus. Nur die Schilder, die an beiden Enden des Lokals die Notausgänge kennzeichneten, warfen ein schwaches grünes Licht über die weißen Decken der nächststehenden Tische. Von der Straßenbeleuchtung drang kaum etwas durch die Vorhänge, und Sebastian stolperte über einen Hocker.
Plötzlich kam er sich vor wie ein Idiot.
Er stand ganz still da und hörte seinen Puls gegen seine Trommelfelle dröhnen. Jetzt, da seine Augen sich an das trübe Licht gewöhnt hatten, sah er, daß die Metalltür, die zum Keller führte, mit einem Riegel und zwei Hängeschlössern versehen war. Zweimal riß er die Augen auf und kniff sie wieder zusammen, dann schlich er sich zum Tresen. Die Tiefkühltruhe starrte ihn aus kleinen grünen Augen an. Rasch atmend ging er vor dem Regal mit den Weinfächern in die Hocke. Er klemmte sich übel die Finger, als er die Hand hinter die Holzbretter schob. Claudio hatte kleinere Hände als er. Die Schlüssel lagen nicht dort.
»Scheiße!«
Er biß sich in die Zunge und fluchte noch einmal. Dann tastete er weiter, zog schließlich sein Feuerzeug hervor und versuchte hinter den Regalfächern nachzusehen. Er konnte nicht wirklich etwas erkennen und verbrannte sich zum Ausgleich das Kinn.
»O verdammte Pest!«
Die Schlüssel zum Weinkeller waren verschwunden. Sonst lagen sie immer an dieser Stelle. Offenbar glaubte Claudio immer noch, daß niemand von seinem kleinen Geheimnis wußte. Sebastian hatte mit keinem darüber gesprochen, nahm aber an, daß er nicht als einziger mitbekommen hatte, wie Claudio immer einige Stunden vor dem Eintreffen der ersten Gäste den Weinschränken im Keller einen Besuch abstattete.
Er richtete sich auf.
Sein erster Gedanke, daß er die Sache auch aufgeben könne, verflog so rasch, wie er gekommen war. Das hier war der Beweis, den er gebraucht hatte. Zumindest für sich selbst. Claudio deponierte seine Schlüssel immer hier. Daß sie jetzt verschwunden waren, konnte nur bedeuten, daß Sebastian recht hatte. Und daß Claudio in Panik geraten war. Er hatte nach seinem Gespräch mit diesem riesigen Polizisten total verängstigt ausgehen und sich erst spät am Abend wieder beruhigt.
Sebastian beschloß, nach Hause zu gehen. Und am nächsten Tag einen neuen Versuch zu starten. Er wollte genauer beobachten, was Claudio mit den Schlüsseln machte. Das würde vielleicht nicht so einfach sein, immerhin war er den ganzen Abend in der Küche beschäftigt, aber er wollte nach Feierabend herumtrödeln und als letzter gehen. Zusammen mit Claudio, vielleicht.
Er schaltete die Alarmanlage wieder ein, verließ das Haus und zog die Hintertür hinter sich zu.
Die Scheinwerfer, die plötzlich die
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