Das letzte Relikt
in Sicherheit sein«, hatte Carter erwidert. Doch er wusste, dass dieser Zeitpunkt kommen würde. Letztendlich würden sie einen Weg finden müssen, den Stein wegzumeißeln, zu schmirgeln, zu hacken, zu sprengen oder gar zu lasern, der den Rest des Fossils gefangen hielt. Bis jetzt konnte man nur erkennen, was man von Anfang an erkennen konnte. Diese lange gebogene Klaue, die sich aus dem Felsen zu graben schien. Carter hatte bereits zahllose Fossilien aus allen Teilen der Welt zu Gesicht bekommen, aber so etwas hatte er noch nie gesehen. Es war nahezu unmöglich, es in Worte zu fassen oder es jemandem zu vermitteln, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, aber von diesem Fossil schien eine unbeschreibliche
Lebendigkeit
auszugehen. Es gab kein besseres Wort, um es zu beschreiben. Als Carter nicht widerstehen konnte und die Greifkrallen streichelte, fühlte es sich nicht an, als würde er eine lang verstorbene Kreatur berühren, ein verkalktes, verknöchertes, versteinertes Ding. Er hatte das Gefühl, ein … schlafendes Wesen anzufassen. Und obwohl er wusste, dass er sich irren musste, dass sein Eindruck unmöglich richtig sein konnte, hatte er das Gefühl, das Ding sei merklich, vielleicht sogar messbar wärmer als der Stein, der es umgab.
»Der Beckenknochen und auch das Schambein sind beim Madagaskarfossil noch sehr primitiv ausgebildet«, erklärte Joe gerade. »Für die späte Kreidezeit ist das eher ungewöhnlich.«
»Haben Sie irgendeine Erklärung dafür, wie das geschehen sein könnte?«, fragte Katie.
»Möglicherweise Isolation. Auf einer Insel kann eine Spezies unter Umständen länger überleben als auf dem Festland. Sie kann eine eigene Entwicklung durchgemacht haben, einen eigenen Nebenweg der Evolution eingeschlagen haben, in ihrem eigenen Tempo, ihrer eigenen … Nische.«
Wohl wahr, dachte Carter. Vielleicht ließen sich damit einige der Anomalien des Fundes in Madagaskar erklären. Aber ihr eigenes Vorzeigefossil vom Lago d’Averno? Im Laufe der Jahrmillionen war der italienische Stiefel, wie alle anderen modernen Länder und Kontinente, gewandert und hatte sich verändert, aber seit mehr als zweihundert Millionen Jahren war er Teil dessen, was Geowissenschaftler Laurasia nennen. Das heutige Italien war niemals in irgendeiner Weise undurchdringlich für extraterritoriale Einflüsse oder Mutationen gewesen. Selbst die alpidische Faltung, die sich im Känozoikum vollzogen hatte, war aus Sicht der Geologie keine große Sache gewesen.
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«, bat Katie, und Carter spitzte die Ohren.
»Fragen Sie, dann werden wir sehen«, erwiderte Joe gutmütig.
»Warum sind Sie hier in New York? Besuchen Sie nur Ihren alten Freund Professor Cox, oder sind Sie zum Arbeiten hergekommen?«
Seltsam, wie dieses Mädel ins Schwarze treffen konnte. Selbst Joe wirkte perplex und warf Carter einen raschen Blick zu, gerade als es zum Ende der Stunde läutete.
»Ein wenig von beidem«, sagte Carter über den Lärm hinweg. »Die gute Nachricht ist, dass Professor Russo Ihnen auf informeller Basis zur Verfügung stehen wird. Und die schlechte Nachricht ist, dass unsere Arbeit Sie – um es professionell auszudrücken – nichts angeht. Ich sehe Sie nächste Woche. Vergessen Sie nicht, mir Ihre Semesterarbeiten in mein Postfach im Fachbereichsbüro zu legen.« Während die Studenten auf den Ausgang zuströmten, wandte er sich an Joe: »Und, wie gefällt es dir, in den Staaten zu unterrichten?«
Joe wiegte seinen Kopf vor und zurück. »Gar nicht so schlecht. Aber es wäre besser, wenn ich dabei rauchen könnte.«
»Für eine Sondererlaubnis müsstest du dich an den Chef des Fachbereichs wenden.«
»Und die würde ich bekommen?«
»Eher nicht.«
Nach dem Lunch in der Kantine der Fakultät, wo Joe das zweifelhafte Vergnügen hatte, den Fachbereichsleiter Stanley Mackie kennenzulernen, verbrachten sie den Rest des Tages im Labor. Der Argon-Laser war geliefert worden, und ein Techniker vom Fachbereich Medizin brauchte mehrere Stunden, um Carter und Joe die Anwendung zu erklären. Im Großen und Ganzen hatte Carter das Gefühl, zu wissen, wie er das Teil bedienen musste, aber er würde es nicht vor nächster Woche ausprobieren. Und selbst dann würde er es erst an den Proben des
Smilodon
testen, die kürzlich der Universität gespendet worden waren. Erstens waren sie nichts Besonderes, und zweitens hatten sie keine gefährlichen Gase in sich eingeschlossen.
Um
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