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Das letzte Relikt

Das letzte Relikt

Titel: Das letzte Relikt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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Antwort«, sagte sein Onkel. »Das ist keine übliche Zeit für einen Besuch. Was ist los?«
    Ezra nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Ich konnte nicht schlafen und habe einfach einen Spaziergang gemacht.«
    »Gertrude hat mir erzählt, dass du nachts überhaupt nicht mehr schläfst. Sie sagt, dass du nicht vor der Morgendämmerung zu Bett gehst und erst am Nachmittag aufstehst. Was treibst du nachts, Ezra?«
    »Ich arbeite.«
    »Kannst du nicht tagsüber arbeiten wie die meisten Menschen?«
    »In der Nacht ist es besser. Ruhiger. Weniger Unterbrechungen.« Bis auf diese spezielle Nacht natürlich.
    Maury wirkte nicht überzeugt. »Was sagt deine Ärztin dazu? Diese Dr. Neumann?«
    »Ich habe nicht mit ihr darüber geredet.«
    »Vielleicht solltest du das tun. Sie verschreibt dir doch Medikamente, gegen die Stimmungsschwankungen und so?«
    »Ja«, sagte Ezra. Er schaute hinunter auf seine Tasse und staunte über die Art und Weise, wie das Lampenlicht in buntschillernden Kreisen auf der Oberfläche des heißen Kaffees reflektiert werden konnte. Er hatte Dr. Neumann nichts von seiner Schlaflosigkeit erzählt, da er wusste, dass sie ihm nur ein Schlafmittel verschreiben würde, und Schlaf war nicht das, was er wollte. Nicht solange er eine so aufregende Arbeit machte und an so bahnbrechendem Zeug dran war. Die einzigen Mittel, die er von ihr verschrieben haben wollte, waren die Pillen, die ihm halfen, sich zu konzentrieren, ihn wach hielten und weit genug beruhigten, damit er sich ganz der im Moment vor ihm liegenden Arbeit widmen konnte.
    Das war der Grund, weshalb er ihr auch nichts von der Stimme erzählen würde, nicht erzählen
konnte
, die er diese Nacht gehört hatte, genauso wenig, wie er seinem Onkel davon erzählen konnte. Er wusste, wohin das führen könnte: bestenfalls zu endlosen Therapiesitzungen, schlimmstenfalls würde er gegen seinen Willen eingewiesen werden. Die Schriftrolle fügte sich Stück für Stück zusammen, aber es war eine irrsinnige Aufgabe, die einen glatt verrückt machen konnte. In der Tat war genau das vielen seiner Vorgänger passiert, wie Ezra besser als jeder andere wusste. Der Erste, der diesen Fluch zu spüren bekommen hatte, war Shapira gewesen, jener Mann, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Erster einige alte Manuskripte am Ufer des Toten Meers entdeckt hatte. Zu seinen Lebzeiten hielt man seine Entdeckungen für Fälschungen. Nichts, so folgerten die Forscher damals, hätte so lange in solch unwirtlichem Klima überdauern können. Nachdem Shapira lange Jahre berufliche Verachtung und Zurückweisung hatte erdulden müssen, mietete er sich in einem Hotel in Rotterdam ein und jagte sich eine Kugel in den Kopf. Nach den erstaunlichen Funden von Qumran 1947 war Shapira rehabilitiert. Andere machten dort weiter, wo er aufgehört hatte, oft genug mit ähnlich fatalen Folgen. Schriftrollenforscher waren bekannt dafür, leicht dem Wahnsinn und der Verzweiflung anheimzufallen, für ihren Alkohol- und Drogenmissbrauch und ihre Neigung zu Selbstmord. All das kam ziemlich regelmäßig vor, und einen solchen Fall kannte Ezra sogar persönlich. Eine Australierin, die bedeutendste Autorität in Bezug auf die Religion der Essener, hatte im Schrein des Buches in Jerusalem mit den Schriftrollen vom Toten Meer gearbeitet. In weniger als zwei Jahren war sie zu einer brabbelnden Fanatikerin geworden, die über die bevorstehende Apokalypse phantasierte und vor einem allgegenwärtigen Gespenst davonlief, das sie den Schattenmann nannte. Bei einer Konferenz in Haifa stürzte sie auf das Podium, und nachdem sie etwas über die Söhne des Lichts geschrien hatte, zündete sie sich selbst an. Sie überlebte mit schweren Verbrennungen und wurde nach Hause nach Melbourne geschickt, wo sie, seinen letzten Informationen nach, unter starken Medikamenten und permanenter Betreuung in einem privaten Sanatorium lebte.
    Ezra wusste also, dass man sich sehr gut im Griff haben musste, wenn man die Schriftrollen studierte.
    »Gertrude hat mich gestern angerufen«, sagte sein Onkel Maury in diesem Moment. Ezra blickte von seinem Kaffee auf. »Sie hatte ein paar Neuigkeiten, und sie will sie dir heute erzählen, sobald du aufgewacht bist.«
    »Was ist es denn?«
    »Dein Vater und Kimberly kommen aus Palm Beach zurück. In ein paar Tagen werden sie wieder in New York sein.«
    Das waren in der Tat Neuigkeiten. Direkt nach dem Streit am Abendbrottisch hatten sie ihre Sachen gepackt und waren ohne ein Wort in

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