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Das letzte Relikt

Das letzte Relikt

Titel: Das letzte Relikt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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perfekten Fingern, an dem nur das Ende des Mittelfingers seiner rechten Hand fehlte. Dann stieg er durch das Loch, das er geschaffen hatte, und in Erde und Wasser.
Matsch
. Er erklomm die zerbröckelnden Stufen und spähte hinein, durch die rauen Bretter, welche die Fenster verschlossen. Im Inneren sah er Leere. Schatten. Dunkelheit. Einsamkeit.
    Alles davon zog ihn an.
    Doch noch mehr als das, war es vor allem die Luft an diesem verlassenen Ort, die ihm behagte. Die Luft war alt und erfüllt von Gerüchen, die er kannte … von Blut, Tränen und Tod. Jahrelang war sie davon getränkt worden.
    Natürlich bedeutete das nichts im großen Ablauf der Welt. Überhaupt nichts.
    Aber in diesem Moment war es gut genug, in dieser seltsamen Welt, in der er erwacht war. Dieser Ort konnte ihm als …
Zuflucht
dienen. Er lächelte. Das war ein gutes Wort, ein neues Wort, aufgegriffen aus der ihn umgebenden Luft.
    Es gab so vieles, sinnierte er, das er haben wollte. Und er hatte vor, es sich zu nehmen.

20 . Kapitel
    Carter hatte nie zuvor eine Trauerrede geschrieben, schon gar nicht für jemanden, den er so wenig gekannt hatte wie Bill Mitchell. Was es noch schwerer machte, war natürlich die Tatsache, dass er ihn nicht besonders gemocht hatte. Und jetzt war es seine Aufgabe, Bills Tugenden zu loben und, so vermutete er, über die vielversprechende Zukunft zu sprechen, die vor ihm gelegen hatte. Das Labor, in dem der Juniorprofessor ums Leben gekommen war, hatte Carter persönlich eingerichtet, und aufgrund der Umstände seines Todes und der Zeitungsartikel wurde allgemein angenommen, dass sie nicht nur Arbeitskollegen, sondern auch gute Kumpel gewesen waren. Nachdem Mitchells kurzes Leben ein so entsetzliches Ende genommen hatte, war es völlig unmöglich, dass Carter etwas anderes behauptete.
    Das letzte Mal hatte er seinen dunkelblauen Anzug zu dem Fakultätsdinner getragen, bei dem er offiziell den Kingsley-Lehrstuhl übernommen hatte. Bei dieser Gelegenheit war er schon nervös genug gewesen, doch zumindest hatte niemand von ihm verlangt, mehr zu tun, als sich auf ein Podium zu stellen, gnädigerweise eine Ehrenplakette entgegenzunehmen und den versammelten Professoren und Verwaltungsangestellten für die ihm erwiesene große Ehre zu danken. Jetzt musste er nicht nur eine Rede halten, er musste auch dafür sorgen, dass die Erinnerung an einen Kerl in Ehren gehalten wurde, der sich selbst umgebracht und gleichzeitig Carters Freund bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte. Und das alles nur, weil er seine Finger nicht von Apparaten lassen konnte, von deren Bedienung er keine Ahnung hatte.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich je damit fertig werde«, hatte er Beth anvertraut.
    »Du musst aufhören, so zu denken«, hatte sie geantwortet und versucht, ihn zu beruhigen. »Es war ein Unfall. Ein furchtbarer Unfall, und niemand hat einen höheren Preis dafür gezahlt als Bill Mitchell.«
    »Erzähl das Joe.«
    Carter hatte sich ein paar Notizen über Mitchells Begeisterung für seine Arbeit gemacht, die Hingabe, mit der er die Studenten an der NYU unterrichtet hatte, seine Vorliebe für Rap-Musik, und er hoffte, dass er das alles an Ort und Stelle zu einem überzeugenden Ganzen würde zusammenbasteln können. Würde er auf einer Kanzel stehen? Hinter einem Rednerpult? Wo?
    Fast in letzter Minute verließen sie die Wohnung, und als sie das Bestattungsinstitut der O’Banion Brothers erreichten, hatte sich in der Gedenkkapelle bereits eine erkleckliche Anzahl Trauergäste eingefunden. Carter wurde Bills Eltern vorgestellt, mit denen er bereits am Telefon gesprochen hatte. Sie waren ein phlegmatisches Paar aus dem Herzen von Queens und wirkten verständlicherweise noch völlig verstört. Bills Witwe Suzanne stellte ihm noch weitere Familienmitglieder vor. Anschließend nahm sie ihn beiseite und dankte ihm dafür, dass er sich bereit erklärt hatte, die Trauerrede zu halten.
    »Ich weiß, dass Bill sehr zu Ihnen aufgeblickt hat«, sagte sie. Sie war eine blasse Blondine, an diesem Tag womöglich noch blasser als sonst, mit fast unsichtbaren Wimpern. »Er sprach immer von Ihrer Arbeit auf Sizilien, und wie Sie es geschafft haben, sich einen Namen zu machen.«
    Jetzt fühlte sich Carter noch mieser.
    »Und ich weiß, dass er sich auf den Tag gefreut hatte, an dem Sie beide zusammen an einem Projekt arbeiten würden.« Eine Träne erschien in ihrem Auge, und sie tupfte sie mit einem zusammengeknüllten Taschentuch weg. »Ich schätze,

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