Das letzte Relikt
während sie ihr Telefon in die schwarze Handtasche von Chanel gleiten ließ. »Das ist bestimmt sehr wichtig.« Sie drückte auf den Knopf für den Lift und schenkte ihnen keinerlei Beachtung mehr.
Ezra führte seinen Gast durch mehrere riesige und verschwenderisch ausgestattete Räume. Carter entdeckte ein Porträt eines flämischen Malers, von dem er hätte schwören können, dass er es einmal in der Raleigh Galerie gesehen hatte. Obwohl Ezra kein Wort sagte, merkte Carter, dass er innerlich kochte. Da seine Mutter unmöglich noch so jung und hübsch sein konnte, musste es sich bei ihr um seine Stiefmutter handeln. Die böse Stiefmutter, der Art nach zu urteilen, wie sie miteinander umgingen.
Im Esszimmer war der Tisch, an dem mit Leichtigkeit zwanzig Personen Platz fanden, für zwei gedeckt. Gefaltete Leinenservietten, Kristallkelche, glänzendes Silber. Zwei Gedecke mit kunstvoll pochiertem Lachs auf wildem Reis waren bereits serviert. Carter und Ezra nahmen an einem Ende des Tisches Platz, Ezra am Kopf der Tafel und Carter direkt rechts neben ihm, von wo aus er durch eine Reihe von Terrassentüren auf eine großzügige Veranda mit kleinen Bäumen und Büschen blickte.
Carter war hungrig, und das Essen war ebenso gut zubereitet wie angerichtet. Ezra hingegen stocherte nur hier und da auf seinem Teller herum. Es schien, als wartete er nur auf den Moment, bis sein Gast auf den Grund ihres Treffens zu sprechen käme. Ein- oder zweimal erhaschte Carter einen Blick auf die Haushälterin, die ihren Kopf aus der Küchentür steckte und ihn sofort wieder zurückzog, als wollte sie sich nur vergewissern, dass die beiden Jungs auch allein zurechtkämen.
Nach einer halbherzigen Unterhaltung über die Möglichkeit eines Streiks beim öffentlichen Nahverkehr fragte Carter, ob der Bauplatz gegenüber des St. Vincent’s Hospitals tatsächlich ein Projekt von Ezras Vaters sei.
»Das sind sie alle«, erwiderte Ezra wegwerfend.
Okay, dachte Carter, hier war er in ein Fettnäpfchen getappt. Jetzt wagte er nicht mehr, nachzufragen, auf was seine Stiefmutter sich bezogen hatte, als sie ihn gefragt hatte, ob er Ezras Bewährungshelfer sei. Wer war dieser Kerl wirklich? Irgendein Krimineller?
»Also, wann erzählen Sie mir endlich, warum Sie angerufen haben?«, fragte Ezra, als er sich nicht länger bezähmen konnte. »War es Ihre eigene Idee, oder hat jemand sie darauf gebracht? Ihr italienischer Freund zum Beispiel?«
Carter war beeindruckt. Der Typ mochte seltsam sein, aber seine Vermutungen trafen stets den Nagel auf den Kopf. »Ja, es war Russo. Heute Morgen im Krankenhaus.«
»Was hat er gesagt?«
Carter hasste es, auch nur daran zu denken. Bei seinem Besuch hatte er erwähnt, dass er einen Mann getroffen habe, der genau wie Joe glaubte, das Fossil sei zum Leben erwacht. Daraufhin hatte Joe sich den Filzstift geschnappt und
Rede mit ihm!
auf die kleine Tafel gekritzelt. »Er möchte, dass ich mit Ihnen rede, um herauszufinden, was Sie wissen.«
»Das ist alles?«, fragte Ezra.
»Er kann noch nicht sprechen, seine Lungen und Stimmbänder wurden beim Feuer arg in Mitleidenschaft gezogen. Er kann nur ein paar Worte auf einmal mitteilen.«
»Ich möchte selbst mit ihm sprechen, sobald das möglich ist. Werden Sie es mich wissen lassen, wenn es so weit ist?«
Carter nickte, obwohl er im Stillen dachte, dass Ezra der letzte Mensch war, dem er das mitteilen würde.
»Eines Tages muss ich mich mit ihm hinsetzen und meine Theorien in aller Ausführlichkeit mit ihm diskutieren.«
»Theorien? Worüber?«
Ezra spielte mit ein paar Reiskörnern auf seinem Teller herum, als würde er überlegen, wie er das, was er zu sagen hatte, am besten formulierte. »Ihr Freund ist durch eine schreckliche Erfahrung aufgeschlossen dafür geworden. Aber ich bin mir nicht wirklich sicher, wie es bei Ihnen damit steht. Sie sind das, was ich einen Mann der Wissenschaft nennen würde«, sagte er und blickte immer noch nicht auf, »und meiner Erfahrung nach bedeutet das, dass Sie ziemlich voreingenommen sind.«
Carter reagierte verärgert. »Das ist meiner Erfahrung nach gewiss nicht richtig. Wenn Sie mich fragen, sind Wissenschaftler die aufgeschlossensten, wissbegierigsten Menschen auf der Welt.«
»Das stimmt nur, solange ihre Fragen sie zu den Antworten führen, die sie von Anfang an erwartet hatten«, erwiderte Ezra. »Nur solange sie das finden, wonach sie an den üblichen Stellen gesucht und genau das Erwartete gefunden
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