Das Letzte Ritual
gegeben. Aber das war bei ihrem schäbigen Studentendarlehen ja nicht drin – den Geizhals, der die zugrunde liegenden Lebenshaltungskosten berechnet hatte, hätte sie gern einmal kennen gelernt. Wenn sie doch nur bald ihr Studium beenden und einen Job finden würde. Historiker gehörten natürlich nicht gerade zu den Besserverdienern; unter finanziellen Gesichtspunkten hatte sie auf das völlig falsche Pferd gesetzt. Bríet konnte es kaum erwarten, sich einen solventen Versorger zu angeln, so wie ihre ältere Schwester, die einen Rechtsanwalt geheiratet hatte. Er arbeitete bei einer großen Bank, verdiente ein Heidengeld und ihre Schwester lebte in Saus und Braus. Die beiden bauten gerade ein riesengroßes Haus oben in Vatnsendi und ihre Schwester, Politikwissenschaftlerin, arbeitete halbtags in einem Ministerium und verbrachte den Rest des Tages mit Shoppen. Bríet lehnte sich an Halldórs Schulter. Er sah wirklich gut aus, war ein netter Kerl und Ärzte hatten schließlich sehr gute Aussichten.
»Woran denkst du gerade?«, fragte er und warf den frisch geformten Schneeball in die Ferne.
»Ach, ich weiß nicht«, antwortete Bríet betrübt. »Vor allem an Hugi.«
Halldór verfolgte den Schneeball mit den Augen – er machte einen hohen Bogen und landete dann direkt neben der Statue von Sæmundur und dem Seehund. »Er war Zauberer«, sagte Halldór.
»Wusstest du das?«
»Wer?«, fragte Bríet irritiert. »Hugi?«
»Nein, Sæmundur, der Gelehrte.«
»Ach der. Ja, klar weiß ich das.« Bríet zog eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Handtasche. »Möchtest du eine? Deine Marke.« Sie reichte ihm das weiße Päckchen und grinste.
Halldór schaute auf das Päckchen und grinste zurück. »Nein danke. Ich hab selbst.« Er nahm eine seiner eigenen Zigaretten und gab ihnen beiden Feuer. Dabei lehnte er sich vor, sodass Bríet ihren Kopf von seiner Schulter nehmen musste. »Das ist echt eine Scheißsituation.«
»Du sagst es.« Bríet wusste nicht genau, was sie weiter sagen sollte. Sie wollte nicht, dass Halldór einen Fehler machte, der sie beide in Schwierigkeiten brächte. Aber sie wollte ihm auch zeigen, dass sie verständnisvoller und aufrichtiger war als Marta Maria.
»Ich hab eigentlich von diesem ganzen Blödsinn die Schnauze voll.« Er stierte geradeaus und dachte kurz nach, bevor er weiterredete. »Andere Studenten sind ganz, ganz anders als wir.«
»Ich weiß«, sagte Bríet.
»Was mich am meisten nervt, ist, dass andere Studenten – die nicht ständig durch die Stadt tingeln und einen draufmachen wie wir – auch nicht unglücklicher mit ihrem Leben sind. Die sind sogar zufriedener.«
Bríet witterte ihre Chance. Sie legte Halldór den Arm um die Schulter und neigte ihren Kopf zu seinem. »Ich hab genau dasselbe gedacht. Wir sind zu weit gegangen; wenn Andri und die anderen so weitermachen wollen, dann ohne mich. Ich werde mich zusammenreißen, im Studium und sonst auch. Es macht einfach keinen Spaß mehr.« Sie vermied es, Marta Marias Namen zu nennen.
»Komisch – das sehe ich auch so.« Er schaute sie an und lächelte. »Wir beide sind so verschieden.«
Bríet küsste ihn sanft auf die Stirn. »Wir passen gut zusammen. Zum Teufel mit den anderen.«
»Bis auf Hugi«, sagte Halldór und sein Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war.
»Nein, er natürlich nicht«, beeilte sie sich zu sagen. »Ich denke ständig an ihn – wie es ihm wohl gehen mag?«
»Schrecklich. Ich halte das nicht mehr aus.«
»Was denn?«
Halldór wollte aufstehen. »Ich gebe dieser Rechtsanwältin noch ein paar Tage, dann gehe ich zur Polizei. Scheißegal, was passiert.«
Verdammt. Bríet versuchte verzweifelt, sich etwas einfallen zu lassen, um Halldór wieder zur Vernunft zu bringen – in diesem Moment hätte sie Marta Maria liebend gern das Feld überlassen.
»Dóri, du hast Harald doch nicht umgebracht, oder? Du warst doch die ganze Zeit im Kaffibrennslan, nicht wahr?«
Er stand auf und schaute sie an, alles andere als zärtlich. »Ja, ich war im Kaffibrennslan. Und wo warst du?« Er stapfte los.
Bríet reagierte. Sie sprang schnell auf und sagte hastig: »Ich hab das nicht so gemeint, entschuldige. Ich meine bloß – warum willst du denn zur Polizei gehen?«
Halldór drehte sich abrupt um. »Weißt du – ich verstehe eigentlich nicht, warum ihr beide, Marta Maria und du, total dagegen seid. Der Tag der Abrechnung kommt immer. Vergiss das nicht.« Er stolzierte davon.
Bríet wusste nicht, was
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