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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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Was für erfreuliche Neuigkeiten!« Er ging zu seinem Schreibtisch und legte den Papierstapel ab. Dann setzte er sich und bot ihnen an, Platz zu nehmen. »Wo wurde er denn gefunden?«
    Dóra setzte sich und legte den Umschlag auf den Tisch. »Bei Harald zu Hause, in einem Karton mit anderen Sachen. Ich muss sie vorwarnen, der Brief ist in keinem guten Zustand.« Sie lächelte entschuldigend. »Die Finderin hatte einen Schock.«
    »Einen Schock?«, fragte Gunnar verständnislos. Er nahm den Umschlag und öffnete ihn vorsichtig. Langsam und ruhig zog er den Brief heraus. Als sein Zustand nicht mehr zu übersehen war, verlor Gunnar die Fassung. »Was zum Teufel ist denn damit passiert?« Er legte den Brief vor sich auf den Tisch und starrte ihn an.
    »Ähm, die Frau hat auch ein paar Dinge gefunden, die sie ein bisschen aus dem Gleichgewicht gebracht haben«, sagte Dóra. »Nicht unbegründet, kann ich Ihnen versichern. Wir sollen Ihnen ausrichten, dass es ihr sehr leidtut und sie hofft, es lässt sich wieder richten.« Sie lächelte entschuldigend.
    Gunnar sagte nichts. Er starrte regungslos den Brief an. Auf einmal fing er an zu lachen. Ein ziemlich unangenehmes Lachen. »Mein Gott«, ächzte er, als der Lachanfall nachließ. »Maria wird mich in der Luft zerreißen.« Sein Oberkörper schwankte leicht. Er strich über den Brief, hob ihn hoch und musterte ihn. »Es ist wirklich der Richtige, darüber sollte man sich ja vielleicht freuen.« Er kicherte.
    »Maria«, sagte Dóra. »Wer ist Maria?«
    »Die Direktorin des Árni Magnússon Instituts«, entgegnete Gunnar mit erstickter Stimme. »Sie hat sich wegen des verschwundenen Briefes sehr aufgeregt.«
    »Vielleicht können Sie ihr von der Frau, die den Brief gefunden hat, ausrichten, es täte ihr furchtbar leid.«
    Gunnar blickte von dem Brief zu Dóra. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, würde das nicht viel ändern. »Ja, mache ich.«
    »Ich wollte die Gelegenheit nutzen, Gunnar, und Sie nach einer Studentin aus ihrer Fakultät fragen: Bríet, eine Freundin von Harald.«
    Gunnar sah sie scharf an. »Was ist mit ihr?«
    »Wir haben gehört, dass die beiden einen Streit hatten. Im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Hausarbeit über Brynjólfur Sveinsson. Sie sind wegen eines verschwundenen Dokuments aneinandergeraten. Wissen Sie etwas darüber?« Dóra bemerkte, dass hinter Gunnar an der Wand ein Gemälde des besagten Brynjólfur hing. »Ist er das nicht?« Sie zeigte auf das Bild.
    Gunnar schwieg nachdenklich. Er drehte sich nicht nach dem Bild um. »Das ist nicht Brynjólfur Sveinsson; das ist mein Urgroßvater, nach dem ich benannt bin. Pastor Gunnar Harðarson. Er trägt sein Priesterornat, kein Bischofsgewand aus dem 17. Jahrhundert.«
    Dóra errötete leicht und beschloss, doch nicht nach einem weiteren gerahmten Fotos an der Wand zu fragen – einem Foto von Gunnar und dem Bauern aus Hella, den Matthias und sie in der Höhle getroffen hatten. Ihre Beschämung heiterte Gunnar ein wenig auf. Er beugte sich über die Tischkante und sagte spitz: »Sie gehören zu den unangenehmsten Gästen, die ich je hatte.«
    Dóra erstarrte. »Tut mir leid. Ich möchte Sie trotzdem bitten, ein bisschen Geduld mit uns zu haben – wir versuchen nur, ein paar offene Fragen zu klären, und die Sache mit Bríet ist eine davon. Wenn Sie nicht mit uns darüber sprechen möchten, können Sie uns ja den Namen des Dozenten oder Professors geben, der die Hausarbeit betreut hat.«
    »Nein, nein. Ich meinte nur, Sie steuern jedes Mal zielstrebig auf heikle interne Angelegenheiten zu. Diese Geschichte gehört auch dazu.«
    »Aha?«, sagte Dóra interessiert. »Ich dachte, die Geschichte sei lediglich für diese Bríet heikel. Wir haben gehört, dass sie sich ziemlich sonderbar verhalten hat, und deshalb fragen wir auch danach.«
    »Bríet, ja. Stimmt genau, äußerst merkwürdig. Eigentlich haben wir es Harald zu verdanken, dass sie wieder zur Raison kam, bevor sie die Fakultät in eine sehr missliche Lage bringen konnte.« Gunnar löste seinen Krawattenknoten ein wenig.
    »Aber worum ging es denn genau?«, fragte Dóra und musterte Gunnars Krawattennadel. Sie erinnerte sie an etwas.
    Gunnar schielte ebenfalls auf seine Krawatte, verunsichert durch Dóras Blick. Sicherheitshalber strich er mit der Hand über die Krawatte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich Krümel darauf befinden sollten. Dabei ritzte er sich an der scharfen Kante der Krawattennadel und zuckte zurück.

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