Das Letzte Ritual
allerbesten und es ist wichtig, dass es gut wird.«
Marta Maria überhörte die lobenden Worte. Sie schaute die anderen der Reihe nach an. »Wie ihr wisst, kann uns diese Frau in Teufels Küche bringen, wenn sie in der Geschichte rumschnüffelt. Es ist ein totaler Glücksfall, dass die Bullen auf dem falschen Dampfer sind.«
»Wir sind uns darüber im Klaren«, sagte Brjánn stellvertretend für die anderen. »Hundertprozentig.«
»Gut«, entgegnete Marta Maria. Sie legte die Hände auf ihre Schenkel. »Absolute Ruhe, bitte.« Niemand sagte ein Wort. Sie nahm einen dicken Bogen Papier, der in der Mitte des Kreises lag, und eine kleine Schale mit roter Flüssigkeit. Sie legte das Papier vor sich auf den Fußboden und stellte die Schale daneben. Anschließend reichte Bríet ihr mit todernstem Gesicht ein chinesisches Essstäbchen. Marta Maria tunkte das Stäbchen in die zähe Flüssigkeit und zeichnete mit langsamen Strichen zwei Zeichen auf das Papier. Sie schloss die Augen und sagte dann leise und betörend: »Wenn du deinem Feind Angst einjagen möchtest …«
9. DEZEMBER 2005
20. KAPITEL
Die Lektüre hatte sich bis tief in die Nacht hineingezogen. Dóra erwachte mit dickem Kopf und war kaum ausgeschlafen. Sie hatte lange den Zettel studiert, der aus dem Buch gefallen war. Darauf standen alle möglichen handschriftlichen Worte und Jahreszahlen. Dóra ging davon aus, dass die Notizen von Harald stammten – zumindest stand sein Name auf der Titelseite des Buches. Außerdem war ein Teil der Notizen auf Deutsch. Er hatte sich keine besondere Mühe mit seiner Handschrift gegeben und Dóra war keineswegs sicher, ob sie alle Worte richtig entziffert hatte. Ihres Wissens stand auf dem Zettel:
1485 Malleus, wobei Harald die Jahreszahl mehrmals überschrieben und die Notiz zweifach unterstrichen hatte. Darunter stand J. A. 1550?? und das Ganze war wieder durchgestrichen. Dann gab es zwei miteinander verbundene L und dahinter stand Loricatus Lupus. Darunter stand etwas Deutsches, das Dóra so verstand: Wo? Wo? Das alte Kreuz? Die Hälfte der Seite war von einer Art Diagramm bedeckt, in dem Punkte mit Jahreszahlen und Orten durch Pfeile miteinander verbunden waren. An der Positionierung der Punkte konnte Dóra erkennen, dass es sich um eine grobe Landkarte handelte. Neben einem Punkt stand Innsbruck – 1485, darüber Kiel – 1486 und darüber Roskilde. Dieser Ort war mit zwei Jahreszahlen beschriftet: 1486 – tot und dann 1505 – Unterbrechung. Oberhalb dieser drei Punkte befanden sich noch zwei weitere Punkte. Ganz oben stand Hólar – 1535, was wieder durchgestrichen und mit einem Punkt verbunden war, neben dem Skálholt stand. Daneben fanden sich zwei Jahreszahlen, 1505 und 1675. Von der zweiten Jahreszahl gingen viele Pfeile aus, die alle in Fragezeichen mündeten. Neben den Fragezeichen stand wieder Das alte Kreuz?? Mit einem anderen Stift war noch das Wort Gastbuch hinzugefügt worden und direkt dahinter war ein kleines Kreuz oder ein kleines t gezeichnet. Gästebuch des Kreuzes? Darunter stand, falls Dóras Deutschkenntnisse sie nicht täuschten: Rauchabzug – Herdstelle!! 3. Zeichen!! Dóra hatte es am Ende aufgegeben, Sinn in die Notizen zu bringen, und sich dem Buch selbst gewidmet.
Malleus Maleficarum war keineswegs Unterhaltungslektüre, aber der beklemmende Text hatte Dóras Aufmerksamkeit gefesselt. Sie hatte das Buch nicht von vorn bis hinten durchgelesen; der erste und zweite Teil waren zu wirr, um sie an einem Stück lesen zu können. Die Grundlage des Buches waren Fragen und Behauptungen über Hexerei. Sie standen am Anfang eines jeden Kapitels oder Absatzes, und die darauf folgende Antwort oder Erläuterung bestand aus merkwürdigen, nicht nachvollziehbaren, religiösen Argumenten.
Die Geschichten und Beschreibungen der Hexen waren schier unglaublich. Ihre Kräfte schienen grenzenlos zu sein – sie konnten unter anderem nach Belieben Unwetter auslösen, fliegen, Männer in Bullen oder andere Tiere verwandeln, Impotenz herbeiführen und männliche Geschlechtsorgane vom Körper trennen.
In einer langen Passage wurde die Frage erörtert, ob es sich bei der Abtrennung des Geschlechtsteils um eine Halluzination oder eine tatsächliche Amputation handelte. Um die beschriebenen Kräfte entwickeln zu können, mussten die Hexen verschiedene Rituale ausführen, zum Beispiel Kinder kochen oder essen und Geschlechtsverkehr mit dem Teufel vollziehen. Dóra war zwar in Psychologie nicht besonders
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