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Das letzte Zeichen (German Edition)

Das letzte Zeichen (German Edition)

Titel: Das letzte Zeichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma Malley
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Stadtmauer lauerten nur Gefahr, die Bösen, eine Welt voller brutaler Menschen. Aber sie wollte es wagen.
    »Nein«, sagte Lucas sofort. »Nein, du bleibst hier. Hier bist du in Sicherheit. Ich habe alles geplant. Es wird so aussehen, als hätte Raffy den Schlüssel gestohlen. Du musst hierbleiben.«
    »Nein.« Evie schüttelte heftig den Kopf. »Ich gehe mit Raffy. Ich gehöre nicht hierher. Ich will hier nicht mehr leben. Ich will nichts mehr zu tun haben mit diesem Ort.«
    Lucas schwieg einige Sekunden lang. Er wich zurück, fasste sie wieder an den Schultern, aber sanfter diesmal. »Es ist gefährlich da draußen«, sagte er dann. »Bist du dir sicher?«
    Sie nickte. »Ich kann hier nicht bleiben. Jetzt nicht mehr. Und sie werden sowieso wissen, dass ich es war. Raffy müsste ein Fenster oder so einschlagen … Und wenn wir das tun, dann wacht mein Vater auf, schlägt Alarm, und niemand kann entkommen.«
    Lucas sah ihr in die Augen. Er sah elend aus. »Ich hätte nicht herkommen sollen.«
    »Du musstest kommen«, erwiderte sie. »Und außerdem, wenn das stimmt, was du mir über meine Eltern erzählt hast, dann kann ich sowieso nicht bleiben. Nicht mehr. Sie haben sie mir weggenommen, sie haben mich angelogen. Mein ganzes Leben hier war eine einzige Lüge.«
    »Sie haben jeden angelogen«, sagte Lucas leise.
    »Dann gehen wir alle zusammen.« Evie schluckte und versuchte, so zu tun, als wäre der riesige Kloß in ihrer Kehle nicht da. Sie wollte so kalt sein, wie Lucas immer war, wollte eine Maschine sein, damit es nicht so wehtat. Und plötzlich verstand sie, warum er so war, wie er war. Weil Maschinen keinen Schmerz spürten. Denn wenn man aus Eis war, dann konnte man nicht verletzt werden.
    Einen Augenblick lang leuchtete etwas auf in Lucas’ Blick, etwas, das sie wieder an Raffy erinnerte, aber das sie auch irgendwie verstörte, denn in ihrem eigenen Blick lag bestimmt dieselbe Verzweiflung. Sie hatte Lucas gehasst, sie hatte ihn verachtet. Aber jetzt … jetzt …
    »Ich kann nicht mitkommen«, erklärte er unvermittelt, wandte sich ab und kappte die Verbindung, die ein paar seltsame Sekunden lang zwischen ihnen bestanden hatte. Evie hatte das Gefühl, als stolpere sie rückwärts, irgendwohin in etwas, was sie nicht kannte. »Ich muss hierbleiben. Es gibt Dinge, die ich tun muss. Ich …«
    Sein Blick schoss umher. Evie wusste, dass es sein Kopf war, der gesprochen hatte, nicht sein Herz. Und mit einem Mal verstand sie ihn – nicht alles, aber genug. Er hatte überlebt, er hatte getan, was er tun musste. Aber er war ein Mensch, er hatte gelitten und er litt noch immer. »Es gibt Dinge, die ich erledigen muss. Dinge …« Er murmelte vor sich hin, dann schaute er sie wieder an, und diesmal spürte Evie die volle Kraft seines Blicks, die verzweifelte Not in seinen Augen, den Hunger nach Trost und nach Verständnis. Ohne es eigentlich zu wollen, ohne groß darüber nachzudenken, ging sie auf ihn zu und berührte mit den Händen seine Brust, seine Schultern, seinen Hals. Er legte die Arme wieder um sie und ihre Lippen fanden sich. Sie spürte, wie ihre Tränen sich mit den seinen mischten, sein Schmerz mit ihrem Schmerz, bis es sich fast so anfühlte, als wären sie zu einem einzigen Wesen geworden, mit derselben Wut, derselben Verzweiflung und derselben Angst. Und dann war es ganz plötzlich vorbei, genauso schnell, wie es begonnen hatte. Sie lösten sich voneinander, hielten sich noch ein paar Sekunden an den Händen, bevor sie sie sinken ließen. Und Evie wusste, dass es derselbe Gedanke war, der sie dazu gebracht hatte, aufzuhören. Der Gedanke an denselben Menschen. Raffy.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte Evie und ging zur Haustür. »Ich bringe dir den Schlüssel. Aber ich verlasse die Stadt, Lucas. Ich kann hier nicht bleiben. Jetzt nicht mehr.«
    »Ich weiß«, antwortete Lucas und sah weg. Sein blondes Haar schimmerte im Mondlicht. Seine verhangenen Augen betrachteten jetzt irgendeinen Punkt auf dem Straßenpflaster. »Es tut mir so leid, Evie. Wegen allem.«

10
    E vie zog die Tür zu und warf einen letzten Blick auf das Haus, in dem sie eigentlich bis zu ihrer Hochzeit hatte wohnen wollen. Lucas drückte ihre Hand.
    »Bist du so weit?« Sie nickte. »Okay, dann gehen wir jetzt und holen Raffy.«
    Er ließ ihre Hand nicht los, oder vielleicht war sie es, die ihn festhielt – sie war sich nicht sicher. Sie wusste nur, dass sie das nicht allein tun konnte, dass sie Lucas’ Haut spüren musste,

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