Das letzte Zeichen (German Edition)
seine Wärme, als Bestätigung, dass sie nicht allein war. Sie hatte immer gedacht, in der Stadt sei man niemals allein; die ganze Gesellschaft hier gründete auf Gemeinschaft, Bürgersinn und Zusammengehörigkeit. Doch jetzt wusste sie, dass sie nie wirklich dazugehört hatte und dass ihr Leben eine Lüge gewesen war. Sie war auf sich allein gestellt, so war es immer gewesen.
Es dauerte nur ein paar Minuten bis zu dem Haus, in dem Lucas mit seiner Mutter und seinem Bruder wohnte. Sie gingen schon auf die Tür zu, als Evie ihn zurückhielt und zu ihm hochsah. Es gab so vieles, was sie wissen wollte, so vieles, was sie nicht begreifen konnte über ein vages Gefühl von Vertrauen und Achtung hinaus.
»Die ganze Zeit?«, fragte sie. »Du hast dich wirklich verstellt? Die ganze Zeit?«
Lucas fing ihren Blick auf, dann sah er weg. »Überleben«, sagte er leise. »Wir müssen alle unseren eigenen Weg finden, um zu überleben.«
»Und …« Sie zog die Stirn in Falten und versuchte, in Gedanken das Puzzle zusammenzusetzen, aber es waren zu viele Teile, zu viele Fragen. »Das Kommunikationsprogramm … Heißt das … Kennst du dich damit aus? Hast du …?«
Lucas nickte. »Mein Vater hat es dort installiert«, flüsterte er.
Sie starrte ihn ungläubig an. »Dein Vater?«
Lucas nickte wieder. »Evie, da draußen vor den Mauern ist eine ganze Welt. Keine hübsche Welt, keine Welt voller Schätze und Güter, aber nichtsdestotrotz eine Welt. Da sind auch Menschen, die euch helfen können. Mein Vater hat Kontakt aufgenommen mit …«
»Einer anderen Stadt?«
Lucas nickte. »Ihr müsst sie finden. Dort seid ihr sicher.«
Evie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Lucas schüttelte den Kopf. »Keine Fragen mehr. Wir haben keine Zeit«, flüsterte er. »Sobald wir einmal im Haus sind, gibt es eine Menge zu tun. Raffy wird mir nicht zuhören; er wird zu lange brauchen, bis er alles versteht. Aber du musst mir jetzt zuhören. Du musst die Führung übernehmen. Geht durch das Osttor und dann Richtung Norden. Schaffst du das?«
Evie nickte.
»Geht so lange, bis es hell wird, und dann sucht euch ein Versteck. Im Norden gibt es Höhlen, bis zu denen ihr es schaffen solltet. Falls nicht, sucht euch überall Deckung, wo ihr könnt. Diese Welt ist in der Schreckenszeit fast ganz zerstört worden. Ihr müsst also Wasser und etwas zu essen mitnehmen. Und ihr müsst sehr vorsichtig sein, Evie. Gib auf Raffy acht. Er kann sehr unbedacht sein und er wird zu leicht wütend.«
Ihre Blicke trafen sich, und etwas flackerte kurz auf zwischen ihnen, aber Lucas sah wieder weg, bevor Evie es deuten konnte.
»Geht über Nebenwege nach Osten bis zum Stadtrand.«
»Durch die Sümpfe?« Sie bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Jeder wusste Bescheid über die Sümpfe, die sich um die Stadt zogen und die Grenze zwischen dem Guten und dem Bösen bildeten. Evie hatte sie nur ein einziges Mal gesehen, vor vielen Jahren. Ihr Vater hatte sie mitgenommen. Er hatte ihr erzählt, die Sümpfe seien Teil eines ausgeklügelten Bewässerungssystems, das das Wasser in die Flüsse der Stadt leitete. Zugleich verstärkten sie den Verteidigungsring der Stadt. Monster gäbe es keine in den Sümpfen, hatte der Vater gesagt – entgegen den Geschichten, die den Kindern in der Schule erzählt wurden – und man brauche sie nicht zu fürchten, denn sie beschützten und ernährten die Bürger in der Stadt. Evie hatte aufmerksam zugehört und genickt, aber als sie wieder gingen, war sie doch sehr erleichtert gewesen, als sie durch die kleinen Felder und Gemüsegärten am Übergang zum Sumpfland wieder zu den Straßen und Häusern zurückgekehrt waren, dem sicheren, bewohnten Teil der Stadt, den sie kannte. Den Teil der Stadt, den sie, wie sie damals dachte, nie wieder verlassen wollte.
»Es gibt einen Weg durch den Sumpf«, sagte Lucas und nickte. »Geht genau nach Osten und haltet Ausschau nach einem Häuschen. Es sieht verfallen aus, aber das ist es nicht. In dem Häuschen ist ein Wächter mit Hunden.«
»Mit Hunden?« Evie schluckte.
»Es wird gut gehen. Ihr werdet Regensachen anziehen. Das überdeckt euren Geruch ein bisschen. Gleich hinter dem Haus findet ihr den Weg. Der führt euch zum Osttor. Geht durch das Tor, rennt los, nach Norden, und schaut nicht zurück.«
»Und du?«, fragte Evie. »Was ist mit dir?«
Er zuckte die Achseln und brachte ein leichtes Lächeln zustande. »Kein Problem. Mach dir um mich keine Sorgen. Also,
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