Blutgesang (Nighthunter 2) Ein Vampir-Roman (German Edition)
1
Caroline Densmore wartete.
Sie wartete auf den Kampf.
Frederic, der sich etwas abseits hielt, hatte sich verändert. Nun war er nicht mehr der attraktive Mann mit den schwarzen lockigen Haaren und dem schmalen schönen Gesicht, sondern ein kalter Vampir, kampfbereit und grausam. Sein Gesicht war fratzenhaft gestreckt, damit er den Kiefer wie ein gefräßiges Raubtier aufreißen konnte. Seine Zähne glühten im Licht der Gaslampen.
Fast zwei Jahre waren vergangen, seitdem sie als Caroline Asbury das Herrenhaus geerbt hatte. Ein Vampir, Regus, hatte sie und Frederic überfallen, sie war getötet und Frederic in einen Vampir verwandelt worden.
Caroline, die nach ihrem Tod und der Zurückverwandlung durch Madame DeSoussa über die Kräfte einer Wildkatze verfügte, streckte sich und schnurrte.
Sie hatten Regus besiegt und ihr Leben geändert. Sie jagten die Wesen der Nacht. Sie nannten sich Nighthunter.
Nachtjäger!
Ludwig servierte einen Drink und lehnte sich gegen den Kaminsims. Madame DeSoussa, eine dickleibige Voodoopriesterin mit filzigen Haaren, die Caroline aus dem Geisterreich geholt hatte, sagte:
»Ihr seid sehr mutig.«
»Wir werden nie zulassen, dass die Vampire von Regus an die Macht kommen«, sagte Ludwig. Der alte Butler wirkte, seitdem sie auf Vampirjagd waren, behände und agil, als hätte er zwanzig Jahre seines Lebens abgestreift und eine zweite Jugend entdeckt.
Frederic lächelte. Bisher schaffte er es, sich nicht an Menschen zu vergreifen, auch wenn es manchmal schier unmöglich schien. Ludwig, Madame DeSoussa und nicht zuletzt Caroline, hatten stets dafür gesorgt, dass Frederic dies nicht tat, da er sonst den Dunklen Mächten verfallen wäre. Er würde ihnen entgleiten und zu seinen Brüdern gehen. Um endgültig wie sie zu werden. Ein Vampir wie alle anderen. Ein Wesen der Nacht!
»Heute kommen sie zusammen«, sagte Frederic. »Sie werden Morgos Daargon wecken. Danach gnade uns Gott.« Er schüttelte sich unwillkürlich, als er den Namen des sogenannten Mächtigen nannte. Den Namen Gottes hingegen sprach er ohne Regung aus.
»Nein, das werden sie nicht«, sagte Ludwig leise.
Madame DeSoussa lächelte still. »Es wird gefährlich für uns. Gefährlicher als alles, was wir bisher getan haben. Wir haben es mit einer erbarmungslosen Gruppe zu tun.«
»Wenn wir jetzt aufgeben«, sagte Caroline. »ist alles vergeblich gewesen.«
»Dann lasst uns gehen«, sagte Madame DeSoussa. »Ich werde einen Voodoo wirken. Vielleicht schützt er uns.«
»Und wenn nicht?«, fragte Ludwig besorgt.
»Dann werden wir sterben«, lächelte Caroline.
Frederic kam zu ihr und legte einen Arm um sie. »Glücklich sterben«, sagte er. »Gemeinsam – und in Liebe.«
Dann gingen sie.
Seitdem warteten sie auf einem Dach.
Häuser bogen sich schwerfällig über den Platz, aus einigen Schornsteinen quoll Rauch und die Gassen waren wie leer gefegt. Es war fast vier Uhr morgens. Die letzten Schenken hatten geschlossen und die Huren hingen beim Alten Ralph hinter ihren Seilen, die sie davor bewahrten, während des Schlafes von den Bänken zu rutschen.
London ruhte. Noch zwei Stunden, bis die Stadt, bis der Moloch wieder erwachte.
Zwei Stunden, in denen sich das Schicksal der Menschen entscheiden sollte.
Falls es der Gruppe gelang, Morgos Daargon zu beleben, würde sich vieles ändern. Man munkelte, der Vampir verfüge über immense magische Kräfte, alleine seine Schwingungen würden ausreichen, um London in Düsternis zu stürzten, um den bisher noch heimlich wirkenden Vampiren Macht zu schenken, von der sie jetzt noch träumten und London ein für alle Mal zu einer Stadt der Blutsauger zu machen.
»Warum ausgerechnet London?«, hatte Frederic überlegt.
Ludwig hatte gesagt: »Torwege und enge Gassen. Kriminalität und Armut. Und unter der Stadt die unendlichen Katakomben, eine Stadt unter der Stadt. London ist umgeben von Grün und hat keine direkten Anschlüsse an andere Städte. London ist wie eine Insel. In keiner Stadt der Welt gibt es so viel Dunkelheit und Abschaum wie in London. Ein Nährboden für alles, was Böse ist.«
»Verdammt, wir schreiben 1883!«, fluchte Frederic. »Wir sind zivilisiert.«
»Das ist relativ«, sagte Ludwig. »In keiner Stadt ist die Technisierung so weit fortgeschritten, nirgendwo gibt es so viel Industrie. Und eben das macht London so düster. Schmutz in der Themse, Hunger in den Straßen und die Cholera in den Randbezirken. Der Fortschritt fordert seine
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